Gott wuerfelt doch 1
anerkannter Amerikáni und spielt eine
wichtige Rolle im Rat des Dorfes.“
Ich schüttelte
ungläubig den Kopf. Konrad erläuterte: „Der Trick ist oft nur die Zusatzportion
Selbstbewusstsein mehr, die andere Menschen nicht besitzen. Offene Fragen
werden dadurch schnell in einer Aura der Gelassenheit erstickt. Dieses Wissen
hat er angewendet. Das Risiko war kalkulierbar, und für jemanden, der einmal
für einen Geheimdienst gearbeitet hat, ist das Risiko Alltag.“ Konrad lachte
amüsiert und begann zu rauchen.
„Und was für eine
Art von Haus bewohnt er? Ich meine, ist es ein Hirtenhaus, ein Anwesen, oder
wie muss man sich das vorstellen?“, erkundigte ich mich neugierig.
„Das weiß ich auch
nicht, ich habe es ja nie gesehen. Er hat mir vor zwei Jahren eine
verschlüsselte Nachricht zukommen lassen, dass er hier auf Kárpathos lebt.“ Er
nahm einen tiefen Zug von der griechischen Zigarette. Ich zündete mir ebenfalls
eine an. Er sah lächerlich aus in seiner Verkleidung. Ich spürte den Schnaps
und musste lachen.
Konrad fuhr
unbeirrt fort. „Er schrieb, das Haus sei weiß. Und es bewege sich; es schwimme
wie ein Schiff in einem lilafarbenen Meer. Er hat sich stets einen Spaß daraus
gemacht, zu mir in Rätseln zu sprechen. Das Lösen aber erfordert Geist und
schärft die Intelligenz, war seine Überzeugung. Und er hatte recht.“
„Das hat Vater auch
oft mit mir gemacht!“, warf ich ein. „Wie stehst du eigentlich zu dem Mann?“
„Er war so etwas
wie mein Ersatzvater“, antwortete Konrad. „Ich meine, er hat mich ins Herz
geschlossen. Er hat mich behandelt wie einen Sohn. Und ich liebte ihn – in
Ermangelung - wie einen Vater.“ Konrad schien etwas verlegen angesichts seiner
Offenheit, er wirkte plötzlich schüchtern. „Er ist neben der Krankenschwester,
die mich großgezogen hat, der einzige Mensch, dem ich jemals vertraut habe. Er
hat mir alles beigebracht, was ich kann.“
„Was hat er dir
denn alles beigebracht? Konrad, was hast du bisher gemacht? Ich meine: für die
Stasi?“, fragte ich. Die Angst vor der Antwort stand mir wohl ins Gesicht
geschrieben.
„Mein Einsatz wurde
lange und gründlich vorbereitet. Dabei habe ich viele Schweinereien
mitbekommen. Bitte frag mich nicht nach den Einzelheiten. Nur so viel: Ich habe
bisher niemanden getötet. Aber ich könnte es. Man wollte mich absichtlich davor
verschonen. Nicht aus Menschenliebe, nein, sondern es gehörte zu ihrem Plan:
Sie wollten mich sensibel halten, denn so bist du, und ich sollte du werden.“
„Das kann alles nur
ein böser Traum sein“, bemerkte ich gepresst.
Konrad packte meine
Schultern und rüttelte mich. „Komm heraus aus deiner Lethargie, du lebst nicht
mehr in deiner heilen Welt, verdammt noch mal. Das ist das Leben: Brutalität
und Grausamkeit, und wenn du Liebe und Frieden suchst, musst du lernen, dafür
zu kämpfen! Sei realistisch, Walter! Ich bin es, dein Fleisch, dein Blut, und
ich bin es, dein Feind und dein Freund! Aber du musst dich endlich entscheiden.
Akzeptiere die Welt, und sie wird dich akzeptieren. Falls nicht, wird sie dich
verschlingen, bevor du auch nur zucken kannst.“
Ich empfand Ekel,
und meine Zunge schmeckte mit einem Male Bitterkeit und Galle. Er war mir so
nah und doch so fremd zugleich. Ich blickte in mein Gesicht, wie es mich
anstarrte, und doch kannte ich seine Züge nicht. Ich hörte meine Stimme, wie
sie auf mich einredete, und doch kannte ich ihren Klang nicht. Ich spürte meine
Hände, wie sie mich gepackt hielten, und doch kannte ich ihren Griff nicht.
Betrachte mich nicht, rede nicht mit mir, fass mich nicht an, flehte ich in
Gedanken. Und doch empfand ich nicht nur Kälte durch Konrad, sondern es strömte
auch Wärme durch seine Arme in mich hinein. War ich es, der so zerrissen war
oder war er es? Waren wir es beide? Konrad, mein Bruder, was geschieht in
deinem Kopf? Ist das alles nur Chemie? Oder ist es das Böse? Bin ich dann etwa
das Gute? In Gottes Namen! Dann bin ich der Himmelswillle und du bist die
Höllenbrut? Mit einem Ruck riss ich mich aus seiner Umklammerung.
„Trink einen
Schluck Wein“, sagte er zu mir und goss mir aus dem Krug ein, den der Kellner
gebracht hatte. Ich nahm den vollen Becher und leerte ihn mit einem Zug.
„Nanu, so gierig?
Passt gar nicht zu dir!“
„Ach, was weißt
denn du?“, stöhnte ich verzweifelt und fühlte mich wie ein nasser Lappen. „Du
kennst mich allenfalls von Schmalfilmen und von Tonbändern. Ansonsten kennst du
mich
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