Gott wuerfelt doch 1
überhaupt nicht!“ Ich zitterte.
„Da täuschst du
dich gewaltig. Du würdest dich gerne selbst verlassen, vor allem in deiner
momentanen Situation. Du rätselst an dir herum und kommst zu keiner Lösung.
Aber ich, ich habe dich studiert: Das ist der Unterschied! Ich kenne dich als
dein Beobachter. Ich weiß schon im Voraus, wie du reagieren wirst, während du dich
immer noch von deinen eigenen Handlungen überraschen lässt. Glaube mir, Walter,
du tust gut daran, dich auf mich zu verlassen.“
Ich trank noch mehr
von dem Wein. Er war geharzt, was mir erst in diesem Moment auffiel. Ich mochte
den Harzgeschmack nicht. „Die Griechen setzen dem Wein Harz zu, um ihn
haltbarer zu machen“, spottete ich. „Wie unnötig“, höhnte ich, „wo ich ihn doch
so schnell vernichte!“
Als ich Konrad
verbittert betrachtete, sah ich ein Lächeln, das verständnisvoll seine Lippen
umsponn. Er schlug mir leicht auf den Arm und frotzelte: „Was ist? Bist du
fertig mit Weihrauch und Kasteiung?“
„Schon gut, es ist
nur so, dass mich ab und zu der Kummer einholt.“ Konrad nickte, winkte den
Kellner herbei und bestellte noch zwei Ouzo. „Stark sollen sie sein, und
doppelt!“
Und ich setzte
spöttisch hinzu: „So wie wir!“
*
Das griechische
Frühstück war karg, der Kaffee herb und der Morgen kraftvoll. Das Meer
schimmerte im selben Blau, wie es die Griechen auf ihre Fenster und Türen
malen. Konrad und ich saßen auf dem großen Balkon meines Zimmers, auf den ich
hatte servieren lassen. Unsere Blicke ruhten auf dem Wasser. Die Aufbauten der
rückkehrenden Fischerboote schimmerten bunt, und ihre Netze hingen zum Trocknen
an den Masten.
Konrad sah aus wie
ein heruntergekommener Hippie, und das war seine Absicht mit seinem zerrupften
Bart und seinen schrillen Klamotten: eine perfekte Verkleidung.
Ich musste lachen.
„Eigentlich schäme ich mich, mit so einem Typ wie dir zusammen in einem Auto zu
sitzen!“, kicherte ich.
Konrad sah mich
verwundert an. Ich stützte meinen Arm auf den Tisch und hielt mein Kinn. „Sag
mal, Konrad, können wir vielleicht demnächst einmal irgendwas gemeinsam
entscheiden?“
„Man richtet sich
idealerweise in jedem Geschäft immer nach dem, der sich besser auskennt. Und
das bin in dem Fall ich!“ Er nahm etwas von der dunkelroten Marmelade, die in
einer kleinen Glasschale serviert war. „ Es ist übrigens meine Absicht“, sagte
er und sah mir in die Augen, „ich meine, auszusehen wie ein typischer
Griechenland-Freak. Nichts dient besser zur Tarnung, als unterschätzt zu
werden.“
Ich musste ihm
Recht geben, nickte und erhob mich vom Tisch, reckte mich und sog die noch
kühle Luft tief in meine Lungen. Es war, als sei ich frei von all den schweren
Gedanken. Dieser Tag schien mir gut zu tun.
Konrad verließ den
Balkon und rief mir zu. „In fünf Minuten am Eingang, der Wagen wird schon dort
sein.“
Ich packte meine
Sachen in einen kleinen Rucksack, putzte noch einmal meine Zähne und begab mich
in das Hotelfoyer. Quer durch die Halle sah ich, wie Konrad von der
dunkelhaarigen Frau hinter der Rezeption einen Schlüssel entgegennahm, ein
Papier unterschrieb und ein paar Geldscheine über den Tresen reichte. Die Frau
lächelte ihn an, Konrads Miene aber blieb eher starr.
Draußen bestiegen
wir den Suzuki-Geländewagen und fuhren los. Die Straße führte oberhalb des
Strandes entlang, gesäumt von Sträuchern, Zitronen- und Orangenbäumen. Wir
fuhren durch Pigádia, vorbei an kleinen Geschäften und Restaurants. Vor einem
Kafeníon saßen alte Männer und rührten sich kaum in der weisen Voraussicht, der
Tag würde trotz des nahenden Herbstes heiß werden.
Die Straße führte
nach Norden, hinauf in das Gebirgsland von Kárpathos. Über dem Asphalt, der den
Berg hinaufkroch, flimmerte bereits die Luft. Wir passierten eine üppig
blühende Ebene und sahen ein Dorf vor uns liegen, das sich einen Hang
hinaufschlängelte. „Das muss Apéri sein, der Stolz der ganzen Insel“,
erläuterte Konrad. „Da wohnen die reichen Insulaner. Hier residiert auch der
Bischof von Kárpathos. Schöner Ort, nicht?“
Ich sah das Grün
der Gärten, das Weiß der Häuser und das Ziegelrot der Dächer, das Silber der
Olivenbäume und den Glanz der Kapellen. Ich sog das aromatische Harz der Pinien
und Aleppokiefern ein, das an den Wein von gestern erinnerte. Gab es jemanden,
der hier nicht „Schön“ gesagt hätte?
Als wir Apéri
verließen, bemerkte ich von weitem, wo die Asphaltierung der
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