Gott wuerfelt doch 1
leichten Bogen, der dem starken
Wind nachgab und dem groben Stoff eine bauchige Form verlieh.
Konrad fuhr den
Wagen in den Windschatten dieses Gebäudes. Er stieg aus, stützte seine Hände
ins Kreuz und betrachtete das Bauwerk. Er schmunzelte und schüttelte leicht den
Kopf. „Was für eine großartige Idee! Es ist weiß und bewegt sich; es hat sich
drehende Segel und die Form eines Schiffes, das in einem lilafarbenen Meer aus
Thymianblüten schwimmt: Eine griechische Windmühle. Dieser Verrückte wohnt in
einer Windmühle! Hier wird ihn wohl niemand finden - außer uns!“
*
Konrad ging voran
und öffnete die Tür. Wir betraten das Innere der Windmühle. Es war ein kleiner
Raum, der ebenso weiß getüncht war wie die Fassade. Das Mahlwerk reichte fast
von Wand zu Wand. Durch ein kleines Fenster sah ich, dass das Gebäude durch
einen Steingang mit der Nachbarmühle verbunden war.
An den Mauern rund
um das Mahlwerk hingen Fotos mit Motiven aus New York: eine Frau vor der
Kulisse des Central Parks, die Freiheitsstatue, das Empire State Building,
feiernde blaubärtige Männer und ein Alter südeuropäischer Herkunft, der eine
Ouzo-Flasche und ein Glas in Händen hielt und eine Zigarre im Mundwinkel
jonglierte. Auf einem der Bilder war ein mitteleuropäisch aussehender Mann
Mitte Fünfzig gemeinsam mit demselben Alten abgebildet; sie lehnten an einem
Geländer. Im Hintergrund reckte sich die Brooklyn-Bridge diagonal in den
Himmel.
„Das ist er“, sagte
Konrad freudig erregt und deutete auf den Mitteleuropäer. „Ich werd verrückt,
das ist er!“
Wir starrten auf
das Foto an der Wand. Irgendwie kam mir der Mann bekannt vor. Plötzlich wurde
die Tür aufgerissen und ein Mann mit kräftigen Gesichtszügen, einem Bauchansatz
und einem wuchernden Schnurrbart stand vor uns. Er trug schwarze Hosen, braune
Lederstiefel und ein weites weißes Hemd; seine rechte Hand hielt einen Revolver
direkt an Konrads Hinterkopf.
„Du bist
unvorsichtig geworden, mein Junge! Um ein Haar wärst du ein toter Mann gewesen.
In Deiner lächerlichen Verkleidung hätte ich Dich beinahe nicht erkannt. Aber
der andere sieht ja aus wie Du“, grinste der Mann hämisch. „Wer immer auch
hierher kommt, es ist gefährlich für ihn!“
Konrad drehte sich
langsam um, sah ihm ins Gesicht und sagte: „Ich habe dein kleines Rätsel
gelöst, alter Mann.“ Der Alte ließ die Waffe sinken, steckte sie in den
Hosenbund, und die beiden fielen sich in die Arme. Nachdem sie sich gelöst
hatten, streckte Konrad die offene Hand aus.
„Das“, sagte er mir
mit glänzenden Augen, „das ist mein alter Lehrer und Freund. Und deiner auch.
Nenn ihn Dimitrios.“ Er drehte sich in die andere Richtung. „Dimitrios, das ist
Walter, mein Zwillingsbruder.“ Konrad setzte seine Brille ab und winkte mir
kaum merklich mit dem Kopf zu. Ich setzte meine ebenfalls von der Nase. Als der
Mann mich musterte, nickte er zum Gruß. Gleichzeitig begann mein Gedächtnis,
seine Gesichtszüge zu glätten. Allmählich begriff ich, wen ich vor mir hatte.
Es war der Mann, der mir ein Jahr lang Unterricht in altgriechischer Sprache
erteilt hatte und dann verschwunden war; es hatte damals geheißen, er habe die
Schule gewechselt.
Mein erster
Altphilologielehrer stand also vor mir, und ich begriff: Auch er war auf mich
angesetzt worden, um mich zu studieren. Der Mann, der damals Hermann Graupner
geheißen hatte, nannte sich jetzt Dimitrios. Ich war wie versteinert, und er
bemerkte es. Ich entschied, es sei besser, ihn nicht auf unsere Vergangenheit anzusprechen.
Dimitrios wandte
sich ab. „Warum hast du ihn hierher gebracht. Das war ein Fehler!“, zischte er
wütend. Er drehte seinen Kopf und sah Konrad reglos in die Augen.
„Dimitrios, es ist
wichtig. Glaub mir, ich wäre sonst nie hierhergekommen.“
„Was kann so
wichtig sein, dass du meine Identität aufs Spiel setzt?“, fragte er
vorwurfsvoll.
„Unser Leben!“, gab
Konrad ruhig, aber unbeirrt zurück. „Wir haben es aufzuklären. Und nur du
kannst – nein, du musst uns dabei helfen!“
„Ohne mich schafft
ihr was nicht?“, blaffte Dimitrios und streckte sich. „Wie oft habe ich dir
eingetrichtert, dass ein Mann nur dann sagen darf, dass er etwas nicht schafft,
wenn er alles auf dem Weg zu diesem Etwas versucht hat zu erledigen? Hä? Hast
du das schon vergessen?“, zischte Dimitrios und tippte mit seinem Zeigefinger
an Konrads Stirn.
Konrad wand sich
zur Seite. „Nein, das habe ich nicht. Das, was wir
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