Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gott wuerfelt doch 1

Gott wuerfelt doch 1

Titel: Gott wuerfelt doch 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Kreutzer
Vom Netzwerk:
begann er seine Flucht nach Buenos
Aires. Dort lebte er unbehelligt und wurde von seiner Familie finanziell
unterstützt. Nachdem er geschieden war, verbrachte er 1956 einen Skiurlaub in
der Schweiz, um seinen Sohn und seine verwitwete Schwägerin zu sehen. Kurz
danach könnte er auch noch einmal in Günzburg gewesen sein.
    Mengele lebte
fortan wieder unter seinem eigenen Namen. Zwei Jahre später, also 1958, machte
der Schriftsteller Ernst Schnabel die Öffentlichkeit auf ihn aufmerksam. Aber
Mengele war nach Paraguay geflohen. Dann floh er weiter nach Brasilien und
lebte zurückgezogen in der Nähe von São Paulo. Dort hielt er sich eine Zeitlang
auf Farmen versteckt. Er wurde nie ausgeliefert und ertrank schließlich am
7.2.1979 in Bertigoa in Brasilien. Gegen Mengele wurde nie ein
Gerichtsverfahren angesetzt.“
    Ich nahm den
Schnaps und trank ihn aus. Konrad tat dasselbe.
    „Erst 1985
entdeckte der Mossad das Grab Mengeles. Nach einer plastischen
Gesichtsrekonstruktion und genetischen Vergleichen mit seinem Sohn erklärten
schließlich eine Handvoll Wissenschaftler Mengele für tot.“
    Ich spürte, wie
meine Augen erneut zu tränen begannen und fragte: „Und unsere Mutter?“
    „Die Torturen eurer
Mutter fanden kein Ende. Sie war mittlerweile zur jungen Frau herangereift,
doch Mengele hatte sie nicht in die Gaskammer geschickt. Die SS trieb einen
Großteil der Männer, die Auschwitz überlebt hatten, durch den Winter Richtung
Süden. Irgendwie geriet eure Mutter in diesen Zug des Jammers, den die
Geschichtsschreibung später den Todesmarsch nennen sollte. Sie trieben die
ausgemergelten und völlig erschöpften Häftlinge von Polen über die
Tschechoslowakei bis ins KZ von Mauthausen in Österreich. Etwa zwanzigtausend
waren zu Beginn des Marsches dabei; wer vor Erschöpfung zu Boden sank, den ließ
man einfach in eisiger Kälte liegen und sterben. Nach drei Wochen durch Schnee
und Eis kamen etwa zwei- bis dreitausend Überlebende in Mauthausen an. Eure
Mutter war eine von ihnen. Das sind die Fakten“, schloss Dimitrios sichtlich erleichtert,
das Grauenvolle gesagt zu haben.
    Konrad stützte
seinen Kopf in die Hände und verbarg sein Gesicht. „Warum hast du mir das nicht
schon früher erzählt?“, fragte er nach einer Weile vorwurfsvoll.
    „Ich konnte nicht,
ich wollte nicht, es wäre falsch gewesen; erst heute war der richtige
Zeitpunkt!“, antwortete Dimitrios ruhig.
    „Was geschah dann
in Mauthausen?“, wollte ich wissen.
    „Die Lagerinsassen
von Mauthausen wurden bald darauf befreit. Deine Mutter kam anschließend nach
Wien und fand dort Obhut. Sie versuchte, sich die Tätowierung wegzubrennen,
daher die Narbe am Unterarm. Man gab ihr ein Zuhause, sie bekam Arbeit und
wurde Krankenschwester. Dann lernte sie deinen Vater kennen.“
    „Was hat Vater mit
all dem zu tun?“, wollte ich wissen. „Inwiefern ist er in die ganze Sache
verwickelt?“, fragte ich fordernd.
    „Dein Vater hat
ebenfalls bei Verschuer studiert!“
    Der Satz traf mich
wie ein Hammer.
    „Er hat aber mit
Mengele nichts zu schaffen gehabt. Nicht direkt jedenfalls. Er kam erst nach
Frankfurt, kurz bevor Mengele das Institut verließ. Er hatte zuvor in Göttingen
studiert, ging aber zu Verschuer, weil er dort sein Hauptthema besser vertiefen
konnte“, erklärte er. „Er war ja ebenfalls Genetiker und hatte sich schon mit
dem Phänomen des Alterns auseinandergesetzt.“ Dimitrios lehnte sich zurück.
„Ich glaube nicht, dass euer Vater je mit Mengele bedeutenden Kontakt gehabt
hat. Jedenfalls lernte er später in Wien Eure Mutter kennen. Das war übrigens
purer Zufall, einer jener merkwürdigen Zufälle, die in eurem Leben ein System
zu bilden scheinen, aber am Ende sind und bleiben sie doch, was sie sind:
Zufälle. Nichts ist logisch oder gesteuert, lediglich die Verkettung der
Ereignisse ist außergewöhnlich.“
    Dimitrios schwieg.
Diese Pause war unerträglich, alles ekelte mich an, und die Stille entfesselte
meine Verzweiflung. Nun begann ich zusammenzubrechen und heulte wimmernd los.
Ich versuchte die Tränen in meiner Liebe zu meinen Eltern zu ersticken, doch es
gelang nicht. Ich bedeutete Dimitrios mit meiner kreisenden rechten Hand,
weiter zu berichten, nur damit die Stille endete.
    Er strich
beruhigend über meine Schulter, dann sprach er weiter. „Nach allem, was ich
weiß, muss euer Vater aber Zugang zu Mengeles Aufzeichnungen gehabt haben.
Verschuer hatte beste Kontakte zu Entscheidungsträgern, die

Weitere Kostenlose Bücher