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Gott wuerfelt doch 1

Gott wuerfelt doch 1

Titel: Gott wuerfelt doch 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Kreutzer
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Wir fuhren den Hügel hinab, vorbei an kargen, hellgrauen Felsen,
verkarsteten Ebenen mit dürrer Bodenflora, passierten die in einem Bogen
gebaute und verfallene venezianische Brücke und die Ruine des alten Klosters.
    Nach kurzer Zeit
erreichten wir die Stelle, von der aus man das neue Kloster sehen konnte: Es
stand auf einer Einebnung an einer Klippe, an deren Rand eine riesige Pinie wie
ein überdimensionaler Sonnenschirm die heiße Julisonne abwehrte. Konrad schritt
auf diesen schattigen Platz zu und setzte sich auf die Holzbank unter dem Baum.
    Als ich neben ihm
Platz nahm, pflückte er seine dunkle Brille von der Nase, blinzelte und deutete
mit dem Finger auf das Meer, über dessen tiefblauem Wasser ich schemenhaft eine
Erhebung wahrnahm.
    „Das ist die
südlichste Insel Europas, sie heißt Gávdos. Wir haben Glück, dass die Sicht
halbwegs gut ist“, bemerkte er ruhig. Ich genoss den Blick und spürte den
Wunsch, hier zu bleiben: für lange hier zu bleiben.
    Wir schlenderten
wortlos durch den Hof des Klosters; ich empfand friedliche Ruhe. Mein Bruder
und ich!
    Außer uns waren
noch einige andere Leute hier, die ich jedoch kaum bemerkte. Konrad sah
mehrmals auf seine Armbanduhr. Ich fragte mich, was ihn so drängte? Er wirkte
seltsam nervös, und doch strahlte er gleichzeitig Souveränität aus. Ich wurde
einfach nicht schlau aus ihm.
    Wir gingen zurück
zu dem kleinen Parkplatz. Gerade war ich dabei, zwei kühle Getränke an dem
Kiosk vor dem Kloster zu kaufen, als Konrad recht fröhlich meinte: „Ach, ich
muss noch einmal zurück. Bitte setz dich ins Auto und lies das hier!“ Dann
ergriff er mit beiden Händen mein Gesicht, nickte mir freundlich zu, gab mir
anschließend einen unbeschriebenen Briefumschlag und lächelte. „Bitte tu, was
ich sage!“ Ich nickte, und er ging los, bevor ich ihn fragen konnte, was das
war. Ich sah ihm nach, wie er auf das Kloster zuging, und begab mich zum Auto.
Dann setzte ich mich auf den Fahrersitz und öffnete den Brief.
    --
    Lieber Bruder,
     
    Behalte jetzt
die Nerven! Vertrau mir und lies dringend weiter bis zum Ende. Ohne Pause!
    Nur einer von
uns beiden hat eine Chance zu überleben, und ich weiß, das ist auch Dir klar!
Ich habe Dir eben (also gestern am Abend) alles über mein Leben erzählt,
Kontakte und Namen sind Dir bekannt, und der Auftrag, den ich hatte, und die
merkwürdige Logik, die dahinter steckte, sind Dir nicht mehr fremd. Ich habe
beschlossen, ihn nicht durchzuführen und bin deshalb aus der Sicht meines
Staates ein Verräter. Lies weiter!
    Bei Dir leben
kann ich nicht, das würde uns beide in Gefahr bringen, und du weißt selbst, wie
wir aneinander ecken. Daher mein Entschluss: Du musst an meine Stelle treten!
Du musst der Stasi vorspielen, Du wärst ich, nämlich derjenige, der Dich in den
Tod getrieben und ersetzt hätte! Lies weiter!
    Gleich wird
etwas geschehen, zwei Männer werden eine Rolle spielen, die ich kenne. Der eine
Mann wird schnell in das Auto zu dem Fahrer steigen, und die beiden werden in
Windeseile verschwinden. Tu so, als kennst Du sie nicht, das ist so vereinbart:
denn ich sollte jetzt an Deiner Stelle im Auto sitzen. Sie werden Dich nicht
behelligen, weil sie glauben, Du wärst ich.
    Ich habe ihnen
gesagt, ich würde Dich jetzt zu der Pinie hinüberschicken, ich würde Dich
bitten, meine Sonnenbrille zu holen, die ich dort vergessen hätte. Du wirst
also jetzt, wenn du zu dem Baum hinübersiehst, Augenzeuge einer Hinrichtung,
die eigentlich Dir gilt. Um Himmels Willen: bleib sitzen!
    --
    Der Schreck fuhr
durch meine Adern und traf mich an jeder Faser des Körpers! Ich blickte mit
aufgerissenen Augen von dem Papier auf, und meine Lippen bildeten den Namen
meines Bruders, ohne dass meine Stimme ihn aussprechen konnte; ich beobachtete
Konrad, wie er auf die Bank zuging, und alles ging rasend schnell:
    Bei der Bank
standen zwei Männer; einer von ihnen kam jetzt auf ihn zu, ging an ihm vorbei,
während Konrad eher beiläufig seinen Blick aufs Meer gerichtet hatte. Jetzt
erkannte ich, dass dies sein großer Moment sein würde: Konrad spielte mich, ja
er spielte mich. Es war die Rolle seines Lebens, die er aufführte, und endlich
konnte er mir beweisen, dass er gut darin war! Ich war vor Angst gelähmt.
    Der Mann hatte
mittlerweile den Parkplatz erreicht und ging auf einen schweren Geländewagen
zu, dessen Schnauze Richtung Bank gerichtet stand. Er stieg ein und startete
den Motor. Konrad war jetzt bei der Bank, grüßte den zweiten

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