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Gott wuerfelt doch 1

Gott wuerfelt doch 1

Titel: Gott wuerfelt doch 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Kreutzer
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gegenseitig nicht
leiden können. Deshalb habe sich Konrad stets fern gehalten von ihm, so gut es
gegangen sei; deshalb bestünde die begründete Hoffnung, dass ich ihn täuschen
könne, obwohl er - wie die meisten Zyniker - äußerst scharfsinnig sei. Ich
solle mich nur verschlossen und misstrauisch verhalten, schrieb er. Ich solle
ihn reden lassen, ihm nur zuhören, aber niemals auf seine hinterlistigen und
provokanten Sprüche reagieren. Ich dürfe ihm nie einen Grund liefern, mich
auszufragen, ich dürfe mich nicht packen lassen, eher beiläufige Langeweile zur
Schau stellen. Ich solle ihm stets mit finsterem Gesicht begegnen, mit
herabgezogenen Augenbrauen, so kenne Weiser Konrad. Er würde kaum Verdacht
schöpfen, da er Konrad ohnehin stets mit Misstrauen begegnet sei und nicht
darauf aus war, mehr als die notwendige Zeit mit ihm zu verbringen.
    Weiser sei in
Süddeutschland aufgewachsen und beherrsche daher keinen ostdeutschen Dialekt.
Er würde also nicht von Konrad erwarten, mit ihm in einem vertrauten
ostdeutschen Tonfall zu reden. Weiser kenne Konrad nur mit anerzogenem
rheinischem Tonfall.
    Weisers Treffpunkte
seien stets an großen Plätzen unter vielen Menschen oder solche Orte, denen man
eine gewisse Dramaturgie nicht absprechen könne. Ich solle ihn so wenig wie
möglich kontaktieren, aber das sei ohnehin so geplant. Geplant sei auch, dass
Konrad Kontakt zu ihm aufnehmen würde. Sie würden nicht den Ort des ersten
Treffens nennen, denn der stehe schon fest. Es sei die Kölner Domplatte, und
zwar der Platz zwischen Dom und Hörfunkgebäude. Nur der Zeitpunkt müsse
telefonisch geklärt werden. Es gebe ein Codewort, das ich ihm nennen solle, ich
fände die Frage und die richtige Antwort am Ende des Briefes sowie eine
Telefonnummer. Nachdem ich alles gelesen hätte, solle ich die Papiere auf dem
Balkon verbrennen. Streichhölzer seien in dem Umschlag.
    Mir wurde kalt bei
dem Gedanken, dem Mörder meines Bruders begegnen zu müssen, der eigentlich mich
hatte töten wollen. Ich las den Text zu Ende, er enthielt Einzelheiten über
Weisers Gewohnheiten und spezielle Dinge, die nur Konrad und er wissen konnten.
Als ich alles begriffen hatte, ging ich auf den Balkon, nahm das
Streichholzbriefchen und verbrannte eine Seite nach der anderen.
    Jetzt blieb mir
nichts anderes übrig, wenn mir mein Leben und das meiner Eltern am Herzen
lagen, als so zu tun, wie Konrad es vorgeschlagen hatte. Meine Eltern durften
niemals erfahren, was geschehen war, denn dann wären sie ihres Lebens nicht
mehr sicher.
    *
    Während des Flugs
war ich verkrampft. Mein Nacken schmerzte, meine Hände zitterten, und meine
Beine wollten davonlaufen. Das Fenster war beschlagen wie die Augen einer alten
Kuh. Mein Sitz war eng wie ein Sarg, und meine Hose klebte zwischen den Beinen
wie Morast an einem Schuh. Ich rutschte hin und her, so dass sich die Frau, die
neben mir saß, einige Male verärgert räusperte, als hätte ich ihr einen schlechten
Witz erzählt. Mein Kopf war voller Aggression, und ich empfand ihre leisen Töne
der Beschwerde wie hallendes Geschrei in einem Ölfass.
    Die Stewardess
beugte sich freundlich zu mir herunter und fragte mich, ob ich einen Drink
wolle. Ich fühlte mich, als würde ich stinken wie ein Futtersilo, und daher war
mir jede Nähe unangenehm; unangenehm anderen Menschen Unangenehmes zu bereiten.
Ich lehnte ab und ignorierte ihren einladenden Ausschnitt. Ihr Lächeln war
antrainiert. Ich hasste ihre zu einem Bogen gezogenen Lippen mit den weißen
Zähnen dahinter.
    Was ist los mit
mir, fragte ich mich in Gedanken. „Mein Bruder ist tot!“, sagte ich leise.
    „Wie?“, fragte die
Dame neben mir. Ich antwortete ihr nicht, sondern sah verärgert auf die
bechergroße Vertiefung in dem hochgeklappten Tisch an der Rückwand des Sitzes
vor mir. Noch schlimmer aber bohrte mich die Frage, was mit Anna geschehen war.
Selbst der Satz „Anna ist tot“ war nicht möglich, denn ihr Schicksal war
ungewiss, obwohl vieles dafür sprach, dass sie tot war.
    Ich sprang auf und
quetschte mich an der schimpfenden Dame und der verdutzten Stewardess vorbei
und rannte zur Toilette. Nachdem ich die Tür verschlossen hatte, setzte ich
mich auf die zu Hochglanz gereinigte Schüssel und wollte meinen gesamten Unmut
an die Welt loswerden, doch es gelang mir nicht.
    Verdammt! Konrad.
Warum hast du das getan? Wir hätten es allen beweisen können, dass es so etwas
wie deutsche Verbrüderung gebe. Du hast es in den Anfängen erstickt!

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