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Gott wuerfelt doch 1

Gott wuerfelt doch 1

Titel: Gott wuerfelt doch 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Kreutzer
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hätte
ich nicht ertragen können. Ich hätte ihn aus meiner Sicht nicht verdient, nein:
billig und sauer musste er sein. Anfangs trank ich ihn, um zu vergessen, später
trank ich ihn, um mit der Schuld fertig zu werden, die ich empfand. Schließlich
trank ich ihn, um mich zu bestrafen. Ich dachte an Konrad und daran, dass es
auch ihm irgendwie so gegangen sein musste. Der Alkohol bewirkte das Gegenteil
von dem, was ich beabsichtigte, aber er machte vergesslicher. Und das war in
diesen quälenden Momenten heilsam.
    Ich lebte zwar
weiter im Haus meiner Eltern, unser Verhältnis aber war sehr getrübt. Ich
konnte nicht die Wahrheit sagen, und genau das spürten meine Eltern. Wenn mich
meine Mutter auf meine Zurückgezogenheit, auf meine Wortlosigkeit und auf die
Trunksucht oder auf meine Unzugänglichkeit ansprach, wurde ich aggressiv. So
mutierte ich zunehmend zum Sonderling. Es tat mir und meiner Umgebung weh. Ich
spürte, wie meine Augen weiter aufgerissen waren als früher, wie meine Hände
manchmal zitterten und meine Geschmacksnerven zunehmend erlahmten.
    Immer wieder gingen
mir Dimitrios’ Worte durch den Kopf, und der Argwohn meinem Vater gegenüber
wurde, ohne dass ich es hätte verhindern können, stetig größer. Vater hatte
mehrmals versucht, mit mir zu reden. Aber er hatte auch gespürt, dass es keinen
Sinn hatte, mich zu befragen, wenn doch nichts zurückkam.
    Und so begannen
wir, aneinander vorbei zu leben. Wir sahen uns täglich und sprachen selten; wir
beäugten uns misstrauisch, und wir schufen Schmerz. Seine Versuche sich
anzunähern scheiterten an mir und meiner Zurückgezogenheit. Aber ich konnte
nicht anders. Allmählich dachte ich nur noch daran, überleben zu wollen. Ich
durfte nicht auffliegen. Mein geheimer Rollentausch wurde tief in mir zur
Manie.
    Eines Tages sagte
Mutter, sie frage sich allmählich, ob ich eigentlich wirklich ihr Sohn sei. Ein
Schreck durchfuhr meine Glieder. Dann erkannte ich, dass die Situation etwas
Positives hatte und mir eigentlich nur helfen konnte. Denn mein absonderliches
Verhalten hatte bereits dazu geführt, dass meine Mutter an mir zweifelte, und
das hatte die Gegenseite einkalkuliert. Sie rechneten damit, dass es für Konrad
schwierig werden müsste, sich als Walter zu verkaufen; es würde
Grenzsituationen geben. Und genau das schien doch die Bestätigung dafür zu
sein.
    Nach fünf Wochen
flammte die Vernunft in mir wieder auf. Ich beschloss, den Kontakt mit dem
Verbindungsmann nicht mehr scheuen zu dürfen, denn ich musste herausfinden, ob
das Spiel funktionieren könnte. Irgendwann musste ich alles wieder ins Reine
bringen, ich konnte Mutter nicht länger in dieser schrecklichen Situation leben
lassen. Das hatte sie bei allem, was sie hinter sich hatte, nicht verdient. Und
ich selbst würde den Zustand meiner Zerrissenheit kaum länger aushalten können.
    Die Kontaktaufnahme
war nicht schwierig. Ich war in die Innenstadt gegangen und stand in einer
Telefonzelle am Rathaus auf dem Markt. Ich wählte die Telefonnummer mit Vorwahl
von Kassel und wartete auf das Freizeichen. Mein Herz hämmerte. Ich spürte
einen Kloß im Hals. Jemand hob ab, ohne seinen Namen zu nennen.
    Ich fragte: „Ist
das Flugwetter stürmisch über Helgoland?“, und ein Mann antwortete „Nicht
stürmisch, denn morgen kommt Prinz Charles zu Besuch“. Ich war mir jetzt
sicher, den richtigen Gesprächspartner zu haben.
    Ohne zu zögern
schlug ich den morgigen Mittag vor, zwölf Uhr dreißig. Am anderen Ende sagte
der Mann mit stoischer Stimme: „In Ordnung“ und legte den Hörer auf.
Merkwürdig, dachte ich. So langweilig geht das zu in der Welt der Spionage.
Erst dann fiel mir ein, dass man sich wohl kurz hielt, falls jemand mithören
sollte, was ja wohl nicht auszuschließen sei.
    Den Rest des Tages
nutzte ich, mir einen Plan aufzuschreiben. Wie würde ich diesem Weiser begegnen?
Unfreundlich und schlecht gelaunt.
    Was würde ich ihm
berichten? Dass ich mit den Eltern ganz gut zu Recht käme, sie seien nur wenig
misstrauisch, da ich mich entsprechend zurückgezogen verhielte. Aber was würde
Weiser mich über Vater fragen? Was würde er wissen wollen? Ich musste auf jeden
Fall so tun, als hätte ich bisher nichts Wesentliches erfahren können. Denn
dann würde er mir sagen, was genau er wissen wollte. Ich ging sehr früh ins
Bett und nahm ein Schlafmittel, das ich meiner Mutter gestohlen hatte. Denn ich
musste am nächsten Morgen ausgeschlafen sein!
    *
    Der Bahnhof in Köln
roch

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