Gott wuerfelt doch 1
süßlich schwer. Über dem Rhein schwebten Nebelbänke, deren Dunst in die
Innenstadt züngelte. Es würde ein nasskalter Tag werden, denn die Kraft der
Sonne reichte nicht aus, die diesige Luft von den feinen Wassertröpfchen zu
befreien. Es war ein typischer Spätseptembertag.
Ich ging durch die
lange Halle und stieg eine Treppe hinab. In den Gängen war es laut, Menschen
mit Koffern und Taschen in den Händen eilten mir entgegen und sprachen wenig
miteinander, vereinzelt spielten tingelnde Musiker. An vielen Ecken wurden
Zeitschriften, Hotdogs, Kaffee und Blumen angeboten. Ich trat in die große
Eingangshalle, die mit ihrer verglasten Front den Blick auf den Vorplatz
gestattete. Links erhob sich der Kölner Dom.
Die Rolltreppen zur
Domplatte hinauf fuhren langsam. Ich hatte noch zehn Minuten Zeit, vermutete
jedoch, dass Weiser sicher schon dort sein würde, um mich zu beobachten. Ich
schlenderte auf den Platz hinter dem Dom. Die freie Fläche hatten sich
Skateboarder erobert. Ich spazierte auf und ab, setzte mich auf einen der
Blumenkübel vor das Römisch-Germanische Museum und wartete.
Irgendwann sprach
jemand hinter mir: „Na, wie fühlt man sich als toter Bruder?“ Die Stimme war
überheblich und mies. Ich spürte Abscheu in mir schwellen, beherrschte mich
jedoch und stand auf. Vor mir stand ein Mann, der erheblich kleiner war als
ich. Das machte mir alles ein wenig einfacher. Er trug einen gerade
geschnittenen Mantel, der für die Jahreszeit viel zu dünn war. Der Kragen war
halb hochgeschlagen, so dass ich den speckigen Nacken seines kurzen Halses noch
sehen konnte. Der Mann musterte mich misstrauisch, und seine Stellung verriet
Kampfbereitschaft. Mir fiel das Bild einer sabbernden Bulldogge ein.
„Was willst du,
Weiser?“, fragte ich bewusst unfreundlich.
„He, ein wenig
freundlicher, wenn ich bitten darf. Was macht denn dein neues Zuhause,
Konrad?“, Weiser musterte mich von oben bis unten, „oder ... soll ich besser
Walter sagen?“, fragte er frotzelnd.
„Sag, was du
willst, aber sag es kurz!“, gab ich zur Antwort und wandte mich zur Seite, um
ein paar Schritte gehen zu können. Ich ertrug die Anwesenheit dieses
gefährlichen kleinen Mannes nur schwer, denn ich hatte Angst vor der
Entlarvung. Während ich begann, in großen aber langsamen Schritten zu gehen,
setzte Weiser seinen Gang neben den meinen, musste sich jedoch aufgrund seiner
Körpergröße anstrengen, den Gleichschritt mit mir zu halten. Das verschaffte
mir einen kleinen Vorteil.
„Also, wie hast du
dich eingelebt?“
„Es war nicht
einfach. Manchmal wundern sie sich zwar, aber sie glauben mir. Ich habe einen
Konflikt heraufbeschworen, so dass sie alle Ungereimtheiten auf dieses Problem
schieben.“
„Hast Du schon
Informationen gefunden?“
„Zurzeit komme ich
natürlich an nichts heran. Der Vater verschließt alles sorgfältig, er vertraut
mir nicht genug. Es ist wie das gestörte Verhältnis zwischen Vater und Sohn
eben. Ich brauche noch eine Weile. Jedes Mal, wenn ich mit dem Vater zusammen
sitze, beäugt er mich von oben bis unten, als ob er irgendetwas ahnt.“
„Wie redet ihr über
die Vergangenheit?“
„Diesen Dingen bin
ich von Anfang an aus dem Weg gegangen, er ist natürlich skeptisch geworden“,
sagte ich. Das Lügen ging mir sehr leicht über die Lippen, wie ich feststellte,
„aber so kann ich Fragen vermeiden, auf die vielleicht nur Walter eine Antwort
gehabt hätte. Wenn sie Fragen stellen, benehme ich mich einfach trotzig.“ Mir
wurde bewusst, dass ich zu viel redete.
„Du hast also noch
nichts über … hmmm … Vater Landes herausgefunden? Akten, Papiere, irgendwas?“
„Nein. Gebt mir
mehr Zeit!“, forderte ich unfreundlich.
Er sah mich mit
verwundertem Blick an. „Reden tust Du ja schon wie die hier im Westen“, grinste
er hämisch. Für einen Augenblick dachte ich, er wüsste wer ich war. Doch diesen
Gedanken schüttelte ich schnell wieder ab und kam zu dem Schluss, Weiser wolle
mich lediglich provozieren.
„Muss ja wohl so
reden, oder?“, sagte ich ruhig. Er wusste, dass Konrad praktisch mit der
rheinischen Sprache aufgewachsen war, und als Süddeutscher konnte er eigentlich
kaum in der Lage sein, die Feinheiten des rheinischen Tonfalls zu bewerten.
„Na gut. Sobald Du
Näheres weißt, nimmst Du wieder Kontakt auf. Ich gebe Dir ein paar Monate.
Nächster Treffpunkt wird diesmal näher zu Aachen sein. Ich schlage einen
ruhigeren Ort vor, da können wir uns ungestört
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