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Gott wuerfelt doch 1

Gott wuerfelt doch 1

Titel: Gott wuerfelt doch 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Kreutzer
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unterhalten.“
    Einen Augenblick
hielt ich inne. Dann fragte ich: „Wo?“
    „Die
Aussichtsplattform am Tagebau Hambach. Kennst Du die?“
    Beinahe hätte ich
ja gesagt und mich verraten. Konrad konnte sie kaum kennen. Ich zögerte ein
wenig. „Nein“, versicherte ich. „Wo ist die?“
    „An der B55 hinter
der Ortschaft Titz, irgendwo zwischen Aachen und Düsseldorf.“ Er wandte sich
kurz ab, drehte sich erneut um und schob hinterher: „Und bring Informationen
mit, dafür haben wir dich abgerichtet.“ Sein dreckiges Lachen schuf Wut in mir,
und ich machte kurze Anstalt, einen Schritt nach vorn zu wagen, doch Weiser
hatte sich bereits zufrieden umgedreht und schritt langsam davon.
    So zogen Wochen ins
Land, ohne dass mein Leben sich nennenswert änderte. Es war eine Zeit des
Stumpfsinns, eine Zeit der Lieblosigkeit, eine Zeit des unterschwelligen
Magenschmerzes. Ich tat nur noch Dinge, um ein Schauspiel aufzuführen, das so
schlecht war, wie es nicht einmal der miserabelste Drehbuchautor zustande
brächte. Doch mein Handeln und meine Passivität waren vom Leben diktiert, von
dem Teil des Lebens, das auf der Verliererseite stand, so dachte ich. Ich
musste meine Lethargie abschütteln. Aber wie?
    Mittlerweile war
Weihnachten vorbei, Schnee fiel vor den Fenstern. Es war jetzt wieder an der
Zeit, Weiser zu treffen, weil er sich sonst zurückgesetzt fühlte. Ich hatte
ohnehin viel zu lange gewartet. Um jede Irritation seitens meiner Eltern schon
in der Theorie zu verhindern, würde ich niemals kontaktiert werden, sondern die
Kontaktaufnahme hatte ausschließlich von mir aus zu erfolgen.
    Ich beschloss in
Vaters Arbeitszimmer einzudringen und seine Akten zu durchwühlen. Etwas
Unbedeutendes mit dem Anschein der großen Bedeutung würde ich schon finden. Ich
würde es kopieren und Weiser mitnehmen.
    Ich nutzte den
Augenblick, als Mutter tagsüber das Haus verließ. Vaters Zimmer stand offen, er
war in seinem Institut. Ich schob die Jalousie an dem Büroschrank auf und entnahm
ihm einen Ordner mit der Aufschrift „Telomere“. Er war randvoll mit Bemerkungen
zu Literaturzitaten, mit Veröffentlichungen und mit einem Hefter, der
ursprünglich handschriftliche Aufzeichnungen enthielt, die er anscheinend von
seiner Sekretärin hatte abtippen lassen. Ich las.
    Das Dossier
enthielt eine Zusammenfassung zum Stand der Altersforschung, Sommer 1987, also
etwas mehr als ein Jahr zuvor. Darüber hinaus enthielt es Stichpunkte als
Erinnerungsstütze von Ideen, die Vater zum Thema hatte. Es waren eindeutige
Hinweise auf die Wege zu entnehmen, die er in Zukunft anstreben würde. Daraus
aber Geheimnisse zu lüften, dürfte unmöglich sein, denn das Papier enthielt
keine konkreten Angaben zu Forschungsprojekten oder ähnlich verwertbaren
Informationen.
    Die Papiere würden
erst einmal reichen, Weiser zufrieden zu stellen, so musste ich jedenfalls
hoffen. Ich meldete mich bei ihm. Ohne unnötige Worte einigten wir uns auf den
morgigen Tag um zwölf Uhr dreißig.
    *
    Es war kalt, der
Regen nieselte unaufhaltsam auf den Asphalt. Die Autobahn zwischen Aachen und
Düsseldorf folgte dem flachen Horizont. Der Himmel hing grau und schwer über
mir. Bald wurden die ersten Stahlkonstruktionen der Schaufelradbagger in der
diesigen Ferne sichtbar. Mit ihren Seilen und Türmen aus Stahlträgern ragten
sie aus den Tiefen der Kohlegruben entlang der Autobahn heraus wie
Brontosaurier aus einem kreidezeitlichen See.
    Ich verließ die
Autobahn und folgte einer Landstraße, die mich in der Höhe des ehemaligen Ortes
Hambach an das Loch der Löcher führen würde. Hier hatte noch vor kurzem
Deutschlands letzter Urwald gestanden, jetzt war hier ein riesiger künstlicher
Berg aufgeschüttet. Die Straße führte nach Süden an der Ostflanke der
Sophienhöhe vorbei. Am Fuße des bewaldeten Abraumhügels aus Kies und Sand
befand sich ein kleiner Parkplatz. Es stand nur ein Auto dort, es war ein
dunkler Opel mit einem Kasseler Kennzeichen, der so abgestellt war, dass er
ohne umzudrehen wegfahren konnte; Weiser war also schon da. Ich sah ihn, wie er
mit dem Rücken zu mir am Rand des Loches stand und in die Weite des künstlichen
Nichts hinab sah. Ich parkte, stieg aus und stellte mich neben ihn. Regungslos
sagte er: „Du hast lange gewartet, hoffentlich hat es sich für uns gelohnt!“
    „Drohe mir nicht“,
gab ich ihm kalt zur Antwort. „Du brauchst mich.“
    Weiser gab keine
Antwort. Wortlos übergab ich ihm die Mappe mit den Kopien. Er blätterte

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