Gott wuerfelt doch 1
sie
kurz durch und nickte. „Wenigstens etwas.“ Er steckte die Mappe unter den
Mantel und schloss ihn wieder.
„Dieses Loch dort
ist ein erstaunliches Zeichen für die Fähigkeit westdeutscher Köpfe.“ Wir sahen
mehr als dreihundert Meter in die Tiefe. „Sie buddeln nach Braunkohle und
fühlen sich stark dabei, und weißt du warum sie das hier tun, Konrad? Nur, um
noch tiefer und noch weiter zu buddeln, als wir das bei uns in der Lausitz
machen, nur deshalb.“ Er schüttelte gespielt den Kopf. „Sie wollen der Welt
zeigen, dass selbst ihre Löcher besser sind als unsere. In allem setzen sie uns
eines drauf. Sie sind mir zuwider, die Westdeutschen.“
Ich war auf der Hut
und ging auf sein Gespräch nicht ein. Konrad hatte mir von ihm erzählt; er sei
Mitte der sechziger Jahre von Süddeutschland freiwillig in die DDR gewechselt.
„Weiser, mich
interessiert dein Loch nicht, ich finde es scheußlich, egal wo es gegraben
wird. Das nächste Mal treffen wir uns an einem beschaulicheren Platz.“
Weiser drehte sich
zum ersten Mal weg von der Grube, sah Konrad direkt und scharf an und sagte: „
... in Ordnung, etwas beschaulicher ja? Dann treffen wir uns das nächste Mal im
Kölner Zoo, und zwar bei den Pavianen, damit du mal wieder etwas Rotes sehen
kannst, und wenn es nur ein Arsch ist.“
Weiser ging an mir
vorbei, stieg in seinen Wagen und fuhr davon.
*
Der Frühling des
Jahres 1989 verlief ruhig. Mein Studium hatte ich wieder in vollem Umfang
aufgenommen, das Verhältnis zu meinen Eltern normalisierte sich ein wenig.
Vater hatte nie wieder gefragt, was in mir vorgehe. Stattdessen näherte er sich
mir nahezu unmerklich dadurch, dass er beiläufig fachliche Fragen stellte. Wir
unterhielten uns jedoch immer noch nahezu wie zwei entfernte Verwandte, denn
unser Vertrauen war getrübt und wollte nicht mehr entstehen. Vater bemühte sich
jedoch redlich, mich wie früher zu behandeln.
Wir kamen mehrfach
aus Verlegenheit ins Gespräch. Wir redeten über komplizierte biochemische
Prozesse, unterhielten uns über Details zur Fortpflanzung, zur Vererbung und
über Telomere, denn diese Themen waren für uns stets ebenso selbstverständlich
gewesen wie für manche Leute die leidigen Gespräche über das Wetter.
Mein Vater konnte
ins Schwärmen geraten, wenn er über Telomere wie winzige biochemische
Chronometer berichtete, ihnen den Rang eines Lebensrichters zumaß, sie nahezu
einer Gottesentscheidung gleichsetzte.
„Sie sind - wenn
wir mit unseren Forschungen richtig liegen - der Schlüssel zum Jungbrunnen.“
„Wieso glaubt Ihr
das?“, wollte ich wissen.
„Wie Du weißt,
sitzen die Telomere an den Enden der Chromosomen. Sind sie kurz, altert ein
Mensch sehr schnell, sind sie lang, altert der Mensch viel langsamer. Wenn wir
nun herausbekommen, wie genau ihre Funktionsweise ist, dann können wir
vielleicht unser Leben um beträchtliche Jahre verlängern. Voraussetzung ist
natürlich, dass wir körperlich gesund bleiben, denn Krankheiten können sie
nicht verhindern, nur den Alterungsprozess herabsetzen.“
„Seit wann hast du
eigentlich diese Ideen?“
„Schon lange“,
sagte er lächelnd, „ich hatte sie schon als junger Mann. Aber damals waren
unsere Mittel und Möglichkeiten noch sehr beschränkt. Anstöße und Ideen gab es
ja genug. Aber nur für Ideen kann man sich eben nichts kaufen. Durchhalten und
umsetzen: das ist das Geheimnis. Ich war einfach konsequent und habe das
gemacht, was andere haben schludern lassen.“
Es pochte in meinem
Kopf. Aber ich musste jetzt diese Frage stellen: „Wie war das im Dritten Reich?
Hast du zu dieser Zeit auch schon mit solchen Dingen gearbeitet?“
Vater sah mich ein
wenig erstaunt an, jedoch mit der Beherrschtheit, wie sie nur jemand besitzen
kann, der diese Art von Fragen nicht zum ersten Male gestellt bekommt. Seine
Stirn war leicht gerunzelt. „Nicht direkt, warum fragst du das?“
„Na ja“, antwortete
ich zögernd, „es gibt doch jede Menge Vermutungen darüber. Eigentlich hast du
darüber nie viel erzählt, ich meine, über die Zeit bis zum Ausbruch des Zweiten
Weltkriegs. Was hast du damals geforscht?“
Vater fühlte sich
sichtlich unwohl in seiner Haut. „Ich habe mich mit der Eugenik
auseinandergesetzt. Damals war das alles auf einem falschen Gleis. Nun ja, das
bekommt man aber erst heraus, wenn man etwas älter und reifer wird. Ich war ja
in Frankfurt. Die Nazis hatten diesbezüglich absurde Pläne, sie wollten den
reinrassigen Arier, den
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