Gottes blutiger Himmel
Beharrungsvermögen, meine Gottesleugnung, meine Würde, mein Wesen. Ich wollte mich nur noch an irgendetwas festklammern, aber ich griff überall ins Leere, ich lief durch Leere und fiel ins Leere. Was machte es schon. Hatte ich nicht seit jeher in einem grenzenlosen dunklen Nichts gelebt, in das ich jetzt lediglich zurücksackte? Wenn ich jetzt mit einem Nichts konfrontiert war, dann begegnete ich mir darin selbst, einem resignierten, hoffnungslosen Wesen, dem ich blind in sein schwarzes Auge sah.
Wenn ich mir bis jetzt noch einen jämmerlichen Rest von Standhaftigkeit bewahrt hatte, so folgte dem mit einem Mal ein völliger Zusammenbruch. Mein Mund wurde trocken, mein Blick verschwamm, die Wände drehten sich um mich, und mein Atem setzte aus. Mir war, als wäre in meinem Kopf etwas, was mich mal hierhin, mal dahin jagte, ohne dass ich mich von der Stelle bewegte. Nein, ich war der Angst keineswegs entflohen, sie hatte mich jetzt erst richtig in ihrer Gewalt. Ich war in Todesgefahr, und ich war nicht bereit zu sterben. Mein Leben war mein Ich, und wenn es endete, dann ging auch ich, wenn ich starb, dann starb mein Ich. Ich sah mich, wie ich mich nie zuvor gesehen hatte: als einen nackten und getriebenen, gedemütigten und verängstigten Menschen, der sich vor Gott niederwarf. Ich betete und bat Gott inbrünstig um etwas Unmögliches. Ich bat darum, am Leben zu bleiben. Aber würde Gott mich überhaupt als Gläubigen annehmen? Herr, vergib mir meine Fehler und Sünden, meine schlechten Taten und Fehltritte (welchem Gedächtnis entnahm ich diese Fürbitten?). Mit trockener Zunge und brennendem Herzen beschwor ich Gott, mich am Leben zu lassen.
Die Stunden vergingen langsam und öde, eine taube Nacht zog sich dahin, ohne Gefühl und ohne Pulsschlag, eine kraftlose Stille legte sich schwer auf den Raum um mich herum. Immer wieder überwältigte mich Erschöpfung, ich schlief ein und erwachte, nur um Gott zu preisen und ihn mit lallender Zunge um Erbarmen und Wohlwollen anzuflehen. Rette mich, lass mich nicht im Stich, Herr , es war, als wäre der Glaube nie aus meinem Herz gewichen, meine Zunge formte immer wieder Gottes Namen. Ich rechtfertigte mein Flehen mit Samer, ich wollte wissen, was aus ihm geworden war, und ich wollte meiner Tochter, meiner Frau und Sana Schmerzen ersparen. Plötzlich vernahm ich ein Brummen, das die Geräuschlosigkeit der Nacht durchbrach, Militärfahrzeuge näherten sich, Helikopter kreisten, Hunde bellten. Ich schrie, so laut ich konnte: »Ich bin hier!«, und trommelte wie ein Verrückter gegen Tür und Wände, aber niemand antwortete, bis meine Hände ermatteten und meine Füße mich nicht mehr trugen. Ich sank zu Boden und weinte lauthals.
Wann kam ich wieder zu Bewusstsein und zu Verstand? Hatte ich geträumt? Was hatte mir meine Verzweiflung da vorgegaukelt? Dass ich gerettet würde. Warum denn? Alles, was ich wollte, war sterben, nichts weiter. Ich hatte phantasiert.
3
Mir war, als hätte ich die ganze Nacht lang keinen Moment geschlafen und ununterbrochen gebetet, mich hin und her gewälzt, halluziniert, Fürbitten gestammelt und Angst gehabt. Ich befeuchtete meinen Mund mit irgendetwas wie Wasser, Tee oder bitter schmeckender Flüssigkeit. Halb bewusstlos schwamm ich in Trugbildern, beginnendes Tageslicht drang durch einen Türspalt, nein, auch das war Phantasie,in meinem Kellerraum brach nie ein Tag an. Ganz kurz nickte ich ein, vielleicht schlief ich auch eine Stunde lang oder etwas weniger, Traumbilder erschöpften mich, ich sah mich als Gejagten, kaum ließen die Bilder etwas nach, waren sie wieder da, Vermummte verfolgten mich und töteten mich ein ums andere Mal.
Als er mich aufweckte, sah ich fahles Licht, und ich begriff, dass ich in der Zeit zwischen Nacht und Morgen eingeschlafen war. Heute schlug er mich nicht. Er befahl mir, mein Frühstück einzunehmen, und ging wieder. Erneut fiel ich in Schlaf und erwachte erst, als er mir die Hände auf den Rücken fesselte und mir die Augen verband. Jetzt hieß es endgültig Abschied nehmen.
Trotz meiner Erschöpfung und Hinfälligkeit raffte ich mich noch einmal auf und sammelte meine verbliebenen Kräfte. Ich würde keine Schwäche zeigen und ihnen mit Gleichgültigkeit begegnen. Ich wollte aufrecht sterben, mit meiner Würde, die ihnen nichts bedeutete, die aber alles war, was ich noch besaß. Ich durfte mich meiner Angst nicht beugen, einen letzten Akt lang noch. Aber würde ich durchhalten? Ich bat Gott, mich tapfer sein
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