Gottes blutiger Himmel
so sehr, dass ich mir wünschte, er würde sterben, aber ich hatte nicht den Wunsch, ihn zu töten. Hättest du es dir nur nicht so leicht gemacht. Du hättest dir auch eine andere Lösung überlegen können.«
»Sie hatten unser Abkommen gebrochen«, sagte Samer und wollte das Thema damit abschließen. Aber meine Miene zeigte ihm, dass ich sein Tun missbilligte, und so fragte er mich: »Vater, stehe ich noch in deiner Gunst?«
»Ich weiß nicht, ob meine Gunst oder Missgunst dir noch etwas bedeuten«, sagte ich.
»Doch, deine Gunst ist mir wichtig.«
»Würde meine Missbilligung dich daran hindern, etwas zu tun, was ich nicht gutheiße?«
»Wenn es Gottes Willen nicht entgegensteht.«
»Falls wir wissen, was Gott will.«
»Das weißt du nicht, aber ich weiß es. Du bist nicht gläubig. Ich war erstaunt zu hören, dass du während deiner Reise hierher gebetet hast. Dein Glaube ist sehr fragwürdig.«
Es hing viel davon ab, was ich jetzt erwidern würde – vielleicht mein ganzes Verhältnis zu Samer. Aber vormachen wollte ich ihm trotzdem nichts. Ich sagte: »Ich wollte nichtdie Gefühle derer verletzen, in deren Begleitung ich war. Ich war ihr Gast, und keiner von ihnen hat mir Hilfe vorenthalten. Ich wollte nicht auftreten als einer, der Ungläubigkeit zur Schau stellt. Ob ich glaube oder nicht, geht allein mich etwas an, da haben andere nicht mitzureden. Eines sollst du wissen: Ich habe kein Problem mit Religion und Gott. Ich bin nur dagegen, dass man beides für irgendwelche Zwecke missbraucht. Mit meiner Religion fühle ich mich auf eine Weise verbunden, die ich selbst nicht ganz verstehe. Sollte ich es eines Tages besser begreifen, werde ich es dir gerne erklären.«
»Mein Glaube gibt mir das, was dir fehlt.«
»Ich streite mit dir nicht über den Glauben. Dein Glaube ist allein deine Sache. Worüber wir zu streiten haben, ist Mord. Du weißt sicherlich, dass der Islam das Töten untersagt. Und erzähl mir nicht, dass das, was ihr tut, Dschihad ist! Mord ist das, und es ist die größte Sünde gegen Gott. Dschihad ist etwas anderes.«
Samer unterbrach mich, bevor ich ihm meine Sicht auf diese Glaubenspflicht darlegen konnte.
»Dschihad heißt nicht nur Bildung, Missionierung, gute Taten zu tun und verwerfliche zu verhindern. Dschihad heißt Kampf für die Sache Gottes, und es ist die höchste Pflicht aller, die in der Lage sind, Waffen zu tragen. Dieser Kampf ist jedem Muslim bis zum Tage der Auferstehung auferlegt, und wer dem Herrn gegenübertritt, ohne ein Gewehr in der Hand zu halten, der wird als Sünder gelten. Das Banner des Kampfes wird über jedem muslimischen Ort dieser Erde wehen, den Ungläubige betreten oder wo Muslime getötet werden. Wir sind haftbar für jeden Tropfen unseres Blutes, der vergossen wird, für unsere Würde, wenn sie verletzt wird, und für jedes Stück Erde, das uns geraubt wird.«
»Du führst einen blinden Dschihad«, sagte ich.
Samer ging Richtung Tür und sagte: »Bleib über Nacht hier. Wir sehen uns morgen wieder.«
Unser Kampf hatte begonnen.
8
In der folgenden Nacht drang im Halbschlaf an mein Ohr, wie jemand rief: » Zum Paradies, auf ins Paradies!« Dann war es still. Bis es wieder losging: » Mudschahid, bekenne dich zum einen und ewigen Gott!« Ich fühlte mich an den Nachtrufer im Ramadan erinnert. Es wurde lauter: » Steh auf, Kämpfer für den Glauben, heute ist dein Tag!« Dies wurde mehrfach wiederholt. Ich überlegte, ob es ein Ruf zum Morgengebet sein könnte, aber es dämmerte noch gar nicht. Es war wohl eher ein Weckruf für einen der hier lebenden Kämpfer, der sich auf den Weg zu einem Selbstmordattentat machen würde. Etwas später ertönte dann wirklich der Ruf zum Fadschr -Gebet, und kurz bevor ich wieder in den Schlaf sank, kam es mir so vor, als würden die Aufrufe von vorher wiederholt.
Später weckte mich ein junger Syrer mit dem Kampfnamen Abu Muadh, der beauftragt war, mich zu begleiten und mir zu Diensten zu sein. Er kam aus einem Dorf in der Nähe von Aleppo, war dauernd in Bewegung, gutherzig und etwas naiv und lächelte unentwegt. Die Finger seiner rechten Hand waren in einer Art spastischen Lähmung gekrümmt und versteift. Trotz seiner Freundlichkeit verhielt er sich zurückhaltend, so als hätte man ihm untersagt, allzu frei mit mir zu sprechen. Offenbar sollte er mich nicht nur begleiten, sondern auch beaufsichtigen, auch wenn er angab, er sei dazu da, mich zu führen und mir zu helfen, falls ein Flugzeug auftauchte oder
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