Gottes blutiger Himmel
sunnitischen Dreieck spielte. Jonathan und Miller waren in der Ferne zu sehen und waren in Gefahr, durch einen Sprengstoffanschlaggetötet zu werden, dann wieder waren sie neben mir und von einer Dolchklinge bedroht. Zu leiden hatte ich, nicht sie, denn ich konnte sie nicht retten und sie würden sterben. Mal war ich Zeuge und mal Beobachter, aber nie wagte ich, sie zu verteidigen. Einmal krümmten sie sich, dann wieder floss ihnen Blut aus der Kehle, und immer wieder stand ich zögerlich und feige daneben. Ich versuchte zu fliehen, aber die Mörder fanden mich, sie zwangen mich, ebenso gebeugt wie sie in einem Meer von Blut neben ihnen zu stehen. Ich stellte mir vor, dass sich mein Blut mit ihrem vermischte. Der Dolch war kurz davor, mir den Hals durchzuschneiden. Meine Kehle war wie zugeschnürt, ich bekam keine Luft mehr. In diesem Moment trat Samer in die Szene, rettete mich vor dem Ersticken und zog mich aus meinem Albtraum heraus.
Nein, er rettete mich nicht, er war nur irgendwie bei mir in dieser Welt aus Blut und Dolchen, er sah mich, ohne dass ich ihn sah, und er machte, dass ich diesen Tod oder was sich so anfühlte, nicht länger erleiden musste. Sein Erscheinen war ein Traum im Traum. Er bückte sich zu mir herunter und umarmte mich, er berührte sein und mein Gesicht, dann nahm er meine Hände und küsste sie. In seinen Armen wurde mir wieder wohl. Ich seufzte, der Albtraum schwand, aber ich träumte weiter, und als Samer etwas von mir abrückte, fürchtete ich, er würde wieder weggehen. Ich blickte ihn an und flehte ihn an zu bleiben, aber er entschwand aus meinem Traum und zerrte mich in die Wirklichkeit.
Da stand Samer mit seiner schlanken Gestalt und seinem schönen Gesicht neben mir, er trug einen langen Bart, seine Haut war sonnengegerbt, seine Blicke mitfühlend, und auf der Stirn hatte er einen dunklen Fleck vom Beten. Ich zog ihn zu mir und nahm ihn in die Arme, er weinte, und ich weinte mit ihm. Ich hörte ihn in mein Ohr sagen: »Ich danke Gott,dass er mir die Güte erwiesen hat, dich heil hierherzubringen.«
Ich sagte ihm nicht, dass ich seine Güte, mich zu empfangen, als eine noch größere ansah. Ich wollte ihm kein Wunder präsentieren, das er Gott zuschreiben würde, ohne meiner Entschlossenheit, zu ihm zu gelangen, Bedeutung beizumessen. Aber es war nicht der Raum für Gespräche dieser Art. Ich sah ihn noch einmal an. Sein Blick war durchdringender als früher, seine Mimik schärfer. Die Veränderungen behagten mir nicht. Samer erschien mir so stark wie nie zuvor. Aber trotz dieser rauen Erscheinung war er mein Sohn. Er war mein gutherziges, schwaches – und fehlgeleitetes Kind. Nun ja, für ihn war es Rechtleitung.
Er hatte kein großes Interesse, über daheim zu sprechen. Ich wollte ihn mit der Nachricht erfreuen, dass seine Mutter nun Kopftuch trug, wie er es verlangt hatte, und seine Schwester es vielleicht auch schon tat. Ich verheimlichte ihm aber auch nicht, dass mich das nicht begeisterte. Ich sagte ihm noch, dass seine Mutter es sich fürs Erste nicht erlauben könne, keine Männer mehr zu begrüßen, dass sie aber alles Mögliche tun würde, um es Samer recht zu machen. Dann sagte ich lächelnd: »Ich für meinen Teil werde dir aber nichts recht machen. Nicht unter dem Druck dieser Umstände.« Ich berichtete ihm, wie ich zu ihm gekommen war und was ich während meiner Entführung durchgemacht hatte, damit er begriff, dass all dieses Leid mich nicht davon abgebracht hatte, zu ihm zu kommen, und er einsah, dass uns ab jetzt nichts mehr trennen konnte und ich nicht ohne ihn wieder nach Syrien zurückgehen würde.
Samer ging nicht darauf ein, so als wäre das, was ich gesagt hatte, nicht so wichtig. Leise und schnell berichtete er, er habe mein Bild nach der Entführung auf al-Dschasira gesehen. Er nahm Kontakt zu allen möglichen Gruppen auf,die Entführungen praktizierten, bis er erfuhr, dass eine Gruppe namens »Kompanie der Vergeltung« mich kaufen wolle. Als er wusste, wer mich gefangen hielt, forderte er die Betreffenden auf, mich herauszugeben. Gemäß einem Abkommen durfte niemand verschleppt werden, der mit al-Qaida in Verbindung stand. Meine Kidnapper leugneten, dass sie mich hätten, um ihre zehntausend Dollar nicht zu verlieren. »Deshalb mussten wir sie töten«, sagte er, als spräche er davon, wie er einen banalen, nicht weiter erwähnenswerten Streit beigelegt hatte.
Ich unterbrach ihn: »Ich wurde zwei Tage lang gefoltert. Ich hasste meinen Peiniger zwar
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