Gottes blutiger Himmel
Im Gegenteil, ich war damals froh über die Vorstellung, dass Samer nicht noch einmal dasselbe wie ich erleiden würde, indem er meinen Weg ging. Er stand kurz vor dem Abschluss seines Studiums der Betriebswirtschaftslehre und an der Schwelle eines erfolgversprechenden Berufslebens. Selbst als ich erfuhr, dass er eine Liebesbeziehung zu einem vier Jahre jüngeren Mädchen hatte, stellte ich mich nicht dagegen. Hauptsache, er würde die Finger von der Politik lassen und sich unvoreingenommen eine Zukunft aufbauen. Ich versprach ihm, die Verlobung mit dem Mädchen zu besiegeln, wenn er sein Studium beendet hätte, und zwei Jahre später die Hochzeit auszurichten, damit wir Zeit hätten, ihm und seiner Verlobten bis dahin eine Wohnung einzurichten. Aber danach sprach er das Thema gar nicht mehr an. Er dachte anders als ich, und mir war es recht, dass er keine Kopie von mir sein und in eine andere Richtung gehen wollte. Doch dass es ihn gleich so unvorstellbar weit weg von mir trieb! Der blanke Hohn war, dass er dabei meinen verunglückten Weg mit demselben Ziel – der Rettung der Welt – weiterging. Er wollte sie nur vor etwas ganz anderem retten:der dschahiliya , ihrer Bezeichnung für ein Leben im Unglauben.
Ich hätte ihn nicht anderen überlassen dürfen. Und es wäre mir nicht in den Sinn gekommen, aber nachdem wir politisch ausgespielt hatten, trennte mich von meiner Frau Nuha, was uns einst zusammengeführt hatte. Sie brauchte jetzt einen neuen Gegner, und ich, der Genosse von früher, bekam diese Rolle zugewiesen. Die politische Niederlage setzte bei ihr schlimmste Eigenschaften frei. Sie wurde egoistisch und überschätzte ihre Fähigkeiten. Ihre Freiheit wurde unantastbar, wohingegen ich zurückstecken musste. Sie war gegen alles, was ich tat, und wollte nichts mehr mit mir zusammen tun. Ihr Wille zur Dominanz war grenzenlos. Ich sollte unsinnigerweise für alles die Verantwortung tragen, was ihr nicht gelang, und ihre Misserfolge wog sie auf, indem sie mir Vorwürfe machte, mein Verhalten gebe zu Argwohn Anlass, ich sei als Ehemann ungeeignet, hätte als Vater versagt und keine Zukunft (die wir beide nicht hatten). Ich musste alles, was ich tat, erklären und rechtfertigen, während was sie tat, über jeden Zweifel erhaben war.
Zunächst bemühte ich mich nicht zu sehr, mit ihr zu einer Einigung zu kommen. Ich dachte, dazu sei irgendwann später noch Zeit und man könne das Problem derweil irgendwie eindämmen. Ich hatte es nicht eilig, unser Eheleben in Frage zu stellen, und kümmerte mich möglichst wenig darum. Mit ihren Kapriolen würde ich schon irgendwie fertig werden, indem ich mich vorübergehend anpasste. Warum sollten wir nicht weiter miteinander zurechtkommen, hatten wir nicht zumindest früher einmal dieselben Ideen geteilt? Das würde schon ausreichen, uns zusammenzuhalten. Zudem war Samer nicht mehr unser einziges Kind. Seine Schwester Nada war in unsere Welt getreten, und in dieser verbreitete sie, trotz unserer Reibereien, viel Heiterkeit.
Aber wir hätten uns mehr umeinander bemühen müssen. Stattdessen verstärkten sich unsere Meinungsverschiedenheiten mit der Zeit so sehr, dass es gar keine anderen Probleme mehr zu geben schien. Und sie waren unüberwindbar, denn wie sollte man etwas überwinden, das ohne Sinn und Zweck an den Haaren herbeigezogen war, was aber dennoch Anlass für lautstarken Streit gab und dazu führte, dass wir uns gegenseitig fast zerrissen? Ich wurde mir selbst fremd und litt Tag und Nacht unter banalen, aber gleichwohl unverrückbaren Kümmernissen, die zu einer Bedrohung wurden. Sie wurden belastender als jede Politik, als Ideologien, als Demokratie, Liberalismus und was es sonst noch Neues gab … Wir hatten uns so sehr in eine Sackgasse manövriert, dass unser alberner Konflikt verbitterter ausgetragen wurde als jeder Klassenkampf. Als ich die Gefahr endlich doch erkannte und versuchte zu retten, was zu retten war, vermochte ich nichts mehr auszurichten. Keiner von uns beiden war zu Zugeständnissen bereit. So wenig, wie ich Nuha vorher davon hatte überzeugen können, ein normales Eheleben zu führen, so wenig gelang es mir jetzt, mit ihr schicksalsentscheidende Dinge zu klären. Wenn sie am Ende doch die Oberhand behielt, dann deshalb, weil sie ihre mütterlichen Gefühle in die Waagschale warf, mit denen sie es schaffte, mir Samer und Nada zu entwinden. Ihnen beiden zuliebe fand ich mich mit der Rolle des Verlierers ab.
Innerlich war es uns recht, dass wir
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