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Gottes blutiger Himmel

Gottes blutiger Himmel

Titel: Gottes blutiger Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fawwaz Hahhad
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Tasche ziehen. Der Soldat dachte, er würde eine Granate werfen, und erschoss ihn. Miller kommentierte damit die bewaffneten Scharfschützen auf den Gebäuden um uns herum. Er ergänzte: »Die banalsten Dinge erregen manchmal ihren Argwohn. Und eine andere Reaktion, als den Abzug zu betätigen, kennen sie nicht.«
    Es war ein beklemmender Anblick, wie sie die Mündungen ihrer Schnellfeuergewehre auf uns richteten und durchdie Zielfernrohre jede unserer Bewegungen verfolgten. Ich befand mich genau in ihrem Fadenkreuz.
    Es kam gar nichts anderes in Frage, als dass ich Sana beruhigte.
    Und jetzt, da ich mich wieder an sie erinnerte, wollte ich sie zurückgewinnen! Kann eine Frau, die einen einmal ins Leben zurückgeholt hat, dies ein zweites Mal tun? Mich überkam ein schlimmes Schuldgefühl. Was war mit mir geschehen, nachdem ich aus dem Irak zurückgekommen war, dass ich sie so vollkommen vergessen konnte? Ich hätte sie außerhalb dieses düsteren Strudels halten müssen, der mich aufgesogen und um ein Haar vernichtet hatte. Hatte ich sie nun wiedergefunden, oder hatte sie sich nur neu in mein Leben eingeschlichen? Nein, ich war genau dort auf sie gestoßen, wo sie vorher gewesen war und wo ich sie auch jetzt sah: Sie saß auf dem Sofa, die Beine untergeschlagen, sie trug genau jene leichte Bluse, die wir gemeinsam zu Beginn des Sommers in der Al-Hamra-Straße gekauft hatten, und war damit beschäftigt, ihre Fingernägel rot zu lackieren. Jetzt betrachtete sie mit verlorenem Blick das Himmelsblau draußen vor dem Fenster. Sie war die Frau, die ich liebte.
    Sie war jetzt in Gänze präsent mit ihrem Schweigen und ihren verstreuten Sachen, ihr Mantel hing am Kleiderhaken, ihre Handtasche lag auf dem Tisch, neben ihr standen das Nagellackfläschchen und das Aceton, daneben lagen Bücher, Schreibzettel und ein Bleistift, und an der Tür standen ihre schwarzen Schuhe mit den niedrigen Absätzen. Sie erhob sich und ging zum Fenster, dann setzte sie sich wieder gedankenverloren auf das Sofa, nahm ein Blatt, legte es auf ein Buch und begann darauf zu schreiben. Sie blickte zum Fenster auf, las etwas vom Himmel ab, sah zu mir und las in meinem Gesicht. Sie schrieb ein Gedicht. Ließ sie sich vonmeinem Leiden inspirieren? Ich sah nun nicht nur ihre Sachen, sondern ich sah sie, und ich sah sie in vielerlei Szenen: wie sie, eine Schürze um die Hüfte gebunden, in der Küche hantierte, wie sie auf dem Balkon den Veilchentopf goss und wie sie im Bett die Decke an sich zog und gähnte. Nun stand sie auf und machte sich bereit, zu gehen.
    Der Abstand zwischen uns schwand, sie war mir ganz nah, ich nahm ihre Hand und sagte: »Es gibt Gefühle, die stärker sind als das Vergessen.« Ich hatte große Sehnsucht nach ihr, und ihre Sehnsucht nach mir war nicht geringer.
    Über einen Zeitraum von zwei Jahren waren wir nie lange fern voneinander gewesen. Die längste Zeit, die ich ohne sie verbracht hatte, waren die knapp zwei Wochen in Dubai gewesen, und von dort hatte ich sie täglich angerufen. Einige Tage vor meiner Abreise nach Bagdad hatte sie eine Vorahnung überkommen, dass sie mich verlieren könnte. Sie überließ sich der Vorstellung, dass ihr kein glückliches Leben beschieden sei, und glaubte zu spüren, dass mir Gefahr drohte und unsere Beziehung schmerzvoll enden würde. Sie klammerte sich an mich, während ich für sie beinahe so etwas wie eine Krankheit wurde, gegen die es kein Mittel gab.
    Ich hatte ihr gesagt, dass ich zunächst nur Major Miller nach Beirut begleiten würde, um von der dortigen US-Botschaft einen amerikanischen Pass mit meinem Namen zu erhalten, dass die Aktion mit Washington abgestimmt sei, ich in einem komfortablen Hotel untergebracht und in Bagdad vollen Schutz genießen würde. Ich hätte keinerlei Beschwernisse zu erwarten. Mein Abreisetermin war eine Woche später, und wir vereinbarten, die verbleibende Zeit gemeinsam zu verbringen.
    In der US-Botschaft in Beirut bekam der Major jedoch Nachricht, dass er aufgrund dringlicher Belange sofort, wenn nicht am selben Tag, dann am nächsten, nach Bagdad zurückfliegenmüsse. Ich schlug vor, ihm später dorthin zu folgen, aber er riet mir, ihn sofort zu begleiten. Die Lage ändere sich von Tag zu Tag, und es bestehe die Gefahr, dass ich später gar nicht mehr in den Irak reisen könnte. Ich erbat mir eine Frist bis zum nächsten Morgen und fuhr noch am selben Tag nach Damaskus zurück. Dort packte ich einen kleinen Koffer und berichtete Hassan von der

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