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Gottes blutiger Himmel

Gottes blutiger Himmel

Titel: Gottes blutiger Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fawwaz Hahhad
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die meisten begannen mit »Meine liebe Sana« und endeten mit Grüßen an unsere gemeinsamen Bekannten, zuweilen auch mit »heißen Küssen« oder damit, dass ich sie vermisste.
    Etwas geschah mit mir. Als ob etwas beendet wäre und irgendetwas Neues zu beginnen hätte – etwas Erträgliches oder Unerträgliches, etwas Bedauerliches oder Erfreuliches –, es war unausweichlich, dass ich mich der Vergangenheit stellte und meine Erinnerungen wiedergewann, auch wenn sie schmerzlich und bitter sein sollten. Ohne eine Prognose zu stellen, würde ich diesen Weg nun gehen. Und sollte ich schwach werden, vielleicht weil ich meiner früheren Persönlichkeit begegnen würde und diese unsicher oder halsstarrig, mutig oder verzweifelt wäre, so wäre ich doch entschlossen, alles zu erfahren.
    Ich fühlte etwas in meinem Kopf zerspringen. Es war ein Echo von Explosionen, die Minen in meinem Gedächtnis gingen hoch, sie hatten einen Zeitzünder, der auf diesen Moment eingestellt war, sie zerbarsten rings um mich her ohne Geräusch und waren doch ohrenbetäubend, sie machten Rauch, aber anstatt mir die Sicht zu nehmen, enthüllten sie mir Szenen, die zu sehen ich schon wieder bereute. Und so wie sie verschwanden, kamen sie auch gleich wieder. Warum begriff ich noch immer nicht, was das alles bedeutete?

Zweiter Teil
    Ich hatte mir vom Lesen meiner E-Mails nicht allzu viel erwartet, aber schon als ich die ersten Zeilen durchging, war mir, als packe mich etwas hinterrücks und als sei ich einsam umzingelt von Erscheinungen, die ich zunächst nicht verstand und nur als unheilvoll deuten konnte. In diesem Moment zerfiel meine Gegenwehr.
    Es war erstaunlich, wie die Erinnerungen auf mich einströmten, ohne dass ich sie mühsam zusammensetzen musste. Schmerzlich waren sie allemal, so sehr, dass ich mir zuweilen wünschte zu sterben. Und manche davon waren wohl Einbildung, hatten aber doch auch einen wahren Kern.

Botschaften aus Bagdad
Die erste E-Mail
    Seit heute Nachmittag bin ich in Bagdad. Der Flug hat zwei Stunden gedauert und war bequem, und auch sonst verlief alles reibungslos.
    Ich wohne im Al-Rashid-Hotel in der Grünen Zone, die absolut sicher ist.
    Ich werde mich kurz fassen. Nicht alles stimmt, was man über die Situation im Irak sieht und hört. In der Presse wird viel übertrieben; das meiste sind nur Behauptungen und Gerüchte.
    Obwohl in Bagdad viel zerstört ist, wird sich die Stadt bald wieder erholen.
    Heute Abend war in der Ferne eine Explosion zu hören. Aber zu Sorge besteht kein Anlass.
    Ich hatte in dieser meiner ersten E-Mail keineswegs die Wahrheit gesagt. Die Gerüchte nahmen sich sogar noch bescheiden aus im Vergleich zur Realität, die die Besatzungstruppen zu bemänteln versuchten. Bagdad würde sich vielleicht nie wieder erholen oder wenn, dann erst in vielen Jahren. Vorbei war es mit der Welthauptstadt, von der wir früher gelesen hatten, vorbei mit der Metropole des Ruhmes und der Ewigkeit, vorbei mit der Burg der Löwen, wie Bagdad in alten Liedern und in den Erklärungen putschender Militärregierungen genannt worden war, die ebenso schnellTriumphe gefeiert hatten, wie sie wieder verdrängt worden waren. Bagdad war nichts weiter als eine Stadt im Ausnahmezustand, und das Schlimmste war, dass sie nicht wieder zu Bewusstsein fand.
    Ich musste lügen, um bei Sana keine zu schlimmen Befürchtungen zu wecken. Es war zudem aus Sicherheitsgründen geboten, schließlich befand ich mich in einem Kriegsgebiet, in dem man jederzeit zu Tode kommen konnte, vielleicht wurde ich überwacht, und ich durfte in der Grünen Zone keinen Verdacht erwecken. Hier befanden sich die Besatzungsmacht, die vorläufige Regierung, Sicherheitskräfte und Dutzende Parteien, die mit den Amerikanern kooperierten und die hier geheim operierende Einrichtungen unterhielten und Spione hatten. Man wusste nicht, wer einen beobachtete und was dieser von einem dachte.
    Aber an die Stelle solcher Sorgen traten schnell andere, nicht weniger bedrückende. Chaos und Angst erlaubten hier niemandem ein geduldiges Überwachen oder auch nur sorgfältiges Arbeiten. Das Einzige, was sie beschäftigte, war, so vorsichtig wie nur möglich zu sein. »Sie wissen nie«, warnte mich Major Miller, »was Ihnen infolge eines Versehens oder einer Unachtsamkeit passieren kann.« Zehn Tage zuvor sei ein junger Mann am Kontrollpunkt der Zufahrt zur Grünen Zone getötet worden. Er hatte sich mit einem Wachposten gestritten und wollte gerade ein Mobiltelefon aus der

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