Gottes blutiger Himmel
erklärte Miller. »Der Irak ist wie ein großer Kuchen, und jeder will ein Stück davon abbeißen. Hunderte Millionen von Dollar sind in den Rechnungsbüchern nicht mehr nachweisbar. Wofür wurden sie ausgegeben? Warum werden riesige Geldbeträge ohne Quittung übergeben? Weil in Kriegszeiten eine ordnungsgemäße Abrechnung nicht funktioniert. Also bleibt unbekannt, wer zehntausend, aber auch wer fünfhunderttausend Dollar erhalten hat!« Was interessieren mich denn logistische und administrative Probleme der Besatzung, dachte ich. »Wir haben es mit Unternehmen zu tun, die von Betrügern geführt werden. Sie profitieren von einem großzügigen Entlohnungssystem, arbeiten unendlich langsamund machen enorme Profite ohne vernünftige Gegenleistung.«
Ich stellte mir vor, dass er gar nicht mit mir redete, sondern mit sich selbst. Aber als er mir von systematischen Verstößen bei der Vergabe von Aufträgen berichtete, von gefälschten Rechnungen von Unternehmen, die es gar nicht gab, und von Verträgen für Arbeiten, die nie ausgeführt wurden, sah ich, dass er wirklich darunter litt. Ich konnte trotzdem nicht mithalten. Sollte ich sagen, ja, ich bin auch dafür, dass der Krieg billiger und noch effektiver wird und damit noch mehr Opfer fordert? Sein großes Problem waren die angeheuerten Sicherheitsleute, die man damals unterschiedlich benannte: Angestellte von privaten Militärunternehmen, Sicherheitskontraktoren, Security-Anbietern … In Wirklichkeit waren sie alle Söldner, die er mit recht scharfen Worten geißelte: »Wir wollen den Krieg gewinnen, und die wollen nur ihre Profite steigern.«
Die Arbeit des Majors bestand nach seiner Darstellung darin, als Vertreter der US-Armee die Ausführung der Verträge eines Unternehmens namens Metracorp zu kontrollieren. Diese Firma sollte irakische Eliteeinheiten dazu ausbilden, Rebellenverstecke im sunnitischen Dreieck auszuheben. Die Frage, ob bei solchen Aktionen Gesichtsmasken vonnöten seien oder nicht, war einer der Punkte, über den Uneinigkeit zwischen Miller und dem Unternehmen bestand. Ich sah keinen Grund, mich in diesem kolonialen Streit auf die eine oder die andere Seite zu stellen. Ich war gegen beide. Als er aber davon sprach, dass er wünschte, er könnte den Geburtstag seiner Zwillingssöhne mit ihnen zusammen feiern, sein Gesicht dabei rot anlief und er mich fragte, ob ich ihn verstünde, da spürte ich, dass Väter sich wirklich ähneln.
Seine Augen blitzten auf, als erinnerte er sich an etwas, und er wandte sich ab, um eine Gefühlswallung zu verbergen. Ichänderte meine Meinung über ihn. Er war nun nicht mehr der überhebliche Amerikaner oder der Amerikaner, der nur freundlich tat. Ich hatte mich geirrt, als ich gedacht hatte, er wolle mich mit seiner übertriebenen Vertraulichkeit nur über den Tisch ziehen. Er war von jener Sorte Menschen, die Empathie für andere empfinden, und er hatte sich bemerkenswert schnell in meine Lage versetzt. Hatte er mir seine Hilfe womöglich auch deshalb angeboten, weil er in meinem Sohn einen rebellischen Heranwachsenden sah, der auf den falschen Weg geraten war und den man wieder zur Vernunft bringen musste? Miller verblüffte mich immer mehr. Ich hatte nicht erwartet, dass ich eine andere Seite seiner Persönlichkeit kennenlernen würde als die sachlich-praktische, die er in Damaskus offenbart hatte; nicht den mitfühlenden Familienvater und nicht den korrekt arbeitenden Beamten, der noch dazu bedauernd gestand, dass er in seinem Leben noch nichts Bedeutendes geleistet habe und dass man ihm nicht erlaube, das zu tun, was er am liebsten tun würde.
Ich fragte ihn nicht, was er damit meine. Während des Gesprächs war es mir schon mehrfach so vorgekommen, als leide der Major unter etwas, was ich nicht deuten konnte. Ich bemerkte nur, dass er eine idealistische Seite in sich barg und schwach und zerbrechlich war. Schwach erschien er mir deshalb, weil er mir im Gegensatz zu dem Bild amerikanischer Allmacht zu stehen schien, und zerbrechlich, weil er sich darauf versteifte, er müsse moralische Vollkommenheit in einem Krieg unter Beweis stellen, in dem Menschenleben und Moral nichts zählten. Er zeichnete ein optimistisches Bild vom Irak der Zukunft, das zu verwirklichen in dieser Welt, die immer mehr Gewalt und Zerstörung erlebte, unmöglich erschien. Seine Vorstellungen waren etwas zu idealistisch für ein Land, das gerade dabei war, in Kleinstaaten zu zerfallen, die allerdings auch nur um den Preis einesnoch
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