Gottes blutiger Himmel
wenig überzeugend, weilich noch immer nicht wusste, ob die Amerikaner nicht nur eine Legende um den Gesuchten schufen. Was, wenn all diese Leute ein Phantom jagten? Wenn auch ein ziemlich teures.
Aber wie war Jimmy überhaupt an seine Informationen gekommen? Ganz einfach, er hatte eine endlose dunkle Nacht lang Harrys Selbstgespräche belauscht und so erfahren, was dieser bei seinen glorreichen Überfällen auf friedliche Häuser getrieben hatte. Er drang in Harrys Albträume ein, hörte auf sein Gestammel und konnte so die schrecklichen Mordszenen rekonstruieren. Er musste nur noch die Begleitmusik von Schüssen, Hilfeschreien, von Flehen und Klagen ergänzen und sich das Bühnenbild aus verkohltem und blutbespritztem billigen Mobiliar dazu vorstellen. Daraus reimte sich Jimmy eine Geschichte zusammen, denn er war nicht nur Journalist, sondern er schrieb selbst Erzählungen, die er an literarische Webseiten und Zeitschriften schickte.
»Aber es geht hier um journalistische Recherche, nicht um Fiktion«, wandte Miller ein.
»Deshalb werde ich es auch erst dann an meine Zeitung senden, wenn die fehlenden Kapitel der Geschichte abgeschlossen sind«, beschied Jimmy. Er frage sich nur, wer ihm in Amerika glauben würde, wo über die Heldentaten amerikanischer Soldaten im Irak berichtet wurde, nicht über deren Verbrechen.
»Man kann sich doch nicht auf eine Aussage stützen, zu der auch nur ein kleiner Teil hinzugedichtet wurde«, protestierte Miller. »Wissen Sie, Herr Schriftsteller, was das bedeutet, wenn man selbst etwas dazuerfindet? Dass es eine Phantasieerzählung ist, nichts weiter.«
»Es ist keine Erzählung, es ist die Wahrheit.«
»Werden Sie Harry denn dazu bringen können, zu gestehen, was die Gruppe verbrochen hat?«
»Sein Zustand verschlechtert sich. Seine Verletzungen sind tödlich, und er wird nicht mehr lange leben«, schätzte Jimmy.
Tatsächlich starb Harry am Abend desselben Tages. Und damit hatte sich seine Geschichte verflüchtigt. Trotzdem handelte Miller sofort. Er sah die ausgelobte Belohnung für die Gefangennahme az-Zarqawis als Schuldbeweis für die Söldner und ließ Reverend Barcley festnehmen. Er brachte ihn in seinen Wohnwagen und verabreichte ihm Schläge, ohne auf seinen religiös verbrämten Protest, sein Gerede vom Krieg gegen das Reich Mohammeds und von den ewigen Prophezeiungen Gottes zu hören. Barcleys Auge war geschwollen, sein Kiefer und sein Nasenbein gebrochen, Blut rann ihm übers Gesicht. Mehr ertrug er nicht, und er gab zu, dass es bei den Überfällen um az-Zarqawi gegangen war. Kleinlaut unterzeichnete er ein Geständnis, bat Miller jedoch, ihn freizulassen, und stellte ihm dafür in Aussicht, seine Misshandlungen nicht anzuzeigen. Aber Miller fesselte ihn an ein Feldbett, nahm das Geständnis, legte es dem Colonel auf den Schreibtisch und verlangte, die ganze Gruppe verhaften zu lassen. Die Antwort kam nach einer knappen Stunde: Die Militärpolizei stürmte seinen Wohnwagen, befreite den Reverend und entzog Miller die Ermittlungen!
Ich traf Miller am Abend. Er war zerstreut und niedergeschlagen, aber noch immer unnachgiebig. Sein Entschluss, die Gruppe um Captain Harry anzuzeigen, stand fest. Es kümmerte ihn nicht, was er dafür in Kauf nehmen musste. Man werde hart mit ihm zu feilschen versuchen, aber er werde sich nicht umstimmen lassen, selbst wenn sie ihn in seine Heimat abschöben. Miller entschuldigte sich, dass er für mich nun doch nichts tun könne. Das Einzige, was er mir zusagen könne, sei, mir bei meiner Rückkehr nach Syrien zu helfen.
Seit einigen Tagen schon war ich die einzige Person, mit der Miller offen sprechen konnte. Was er seiner Frau schrieb, war unpersönlich und meist auch unwahr. Sie wusste trotzdem, dass er unter Druck stand, und bat ihn zurückzukommen. Millers Kampf mit Metracorp war nicht mehr geheim. Und er kam mit sich selbst nicht mehr klar. Er hätte sich längst in Behandlung begeben müssen, doch damit hätte er sich seinen Gegnern zum Fraß vorgeworfen. Er glaubte, wieder gesund zu werden, wenn er die Verbrecher hinter Gittern sähe und ihnen ihre Schuld nachweisen könnte. Aber schon die Andeutung, man könnte ihm das Verfahren entziehen, ließ ihm nun seine gesamte Arbeit im Irak sinnlos erscheinen.
»Lass doch den Irak zur Hölle fahren«, sagten ihm wohlmeinende Kollegen. Ich hätte es nicht so ausgedrückt, denn der Irak erlebte bereits die Hölle. Miller war dies bewusst, aber er hoffte, zumindest sein Land
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