Gottes blutiger Himmel
könne dieser Hölle entkommen, ohne allzu großen Schaden zu nehmen. Er meinte dies nicht nur im materiellen Sinn und in Bezug auf die Verluste von Menschenleben, sondern auf die vermeintlichen Prinzipien, um derentwillen die US-Armee in den Irak gekommen war. Miller begriff offenbar nicht, dass Amerikas Ruf nicht auf dem Spiel stand, sondern bereits hoffnungslos im Dreck lag. »Warum überlassen wir diesen Krieg Verbrechern und Dieben?«, pflegte er zu fragen, so als bestünde das Problem nur in den Söldnern.
Ich ließ mich von seiner Unnachgiebigkeit blenden, doch sein innerer Zustand verschlechterte sich. Man hatte ihn kaltgestellt, und das verwand er nicht. Ich begann mit ihm zu streiten und riet ihm nun auch, sich nicht zu versteifen. Das Ermittlungsverfahren war beendet, er spielte keine Rolle mehr darin, aber die Wahrheit würde eines Tages dennoch ans Licht kommen.
Am nächsten Tag schien er eine Verwandlung durchgemacht zu haben. Das Verfahren interessierte ihn nicht mehr, und er wollte nicht mehr darüber sprechen. Über Nacht habe er viel weitergehende Ambitionen entwickelt, und er werde sich nicht davon abbringen lassen, sie ins Werk zu setzen. Ich glaubte, Miller wolle eine Dummheit begehen, aber er war wohl schon einige Phasen weiter. Auf meine Frage, was er denn meine, blickte er mich scharf an und sagte: »Ich möchte, dass diese Region zu einer Demokratie wird.« Ich hielt es für einen Scherz. Aber er sprach ganz ernst weiter. Statt seine Hoffnungen zu begraben, richtete er sie nun auf weit Größeres. Ich war verdutzt darüber, dass er offenbar den Unsinn glaubte, den das Weiße Haus verbreitete und über den die Weltpresse längst spottete. Seine Wandlung konnte ich mir nur damit erklären, dass er von einer Art Wahn erfasst war, als er bekräftigte: »Ich begreife dies als Herausforderung, und ich nehme sie an. Entweder sterbe ich dabei oder ich werde neu geboren.« Ich hatte einerseits Angst um ihn und war andererseits wütend auf ihn. Er gab sich der Illusion hin, er könne seine Niederlage ausgleichen, indem er sich ein neues Betätigungsfeld suchte.
»Du kannst dir hier jederzeit nach Belieben eine neue Aufgabe suchen«, sagte ich zu Miller. »Aber wenn du auf Ruhm aus bist, wirst du damit scheitern. Ein paar hundert Meter von hier liegt ein Land im Elend, und keine Heldentat wird es davor erretten. Deine hehren Prinzipien sind nichts als Täuschung, und sie haben dem Irak lediglich Zerstörung, Chaos, Mord und Totschlag beschert. Sie haben die Iraker dazu gebracht, die Freiheit zu verfluchen und über die Demokratie zu spotten.«
»Diese Opfer sind die Sache wert, wenn sie uns und euch ermöglichen, Geschichte zu schreiben.«
Der Major war offenbar nicht mehr ganz klar im Kopf. Der Wahn hatte ihn so gepackt, dass er Teil einer Geschichte werden wollte, die weder uns Arabern noch den Amerikanern Ehre machen würde. Er tat mir leid. Er hegte plötzlich ganz große Hoffnungen, nachdem er damit gescheitert war, ein klein wenig Gerechtigkeit zu schaffen. Den Opfern der Massaker aber wurde damit nicht einmal ein winziger Teil dessen zurückgegeben, was ihnen genommen worden war. Eher gewährte ihnen ein Grab Gerechtigkeit als ein Major, der nicht einsehen wollte, dass Krieg nur immer mehr Quälerei bedeutete. Warum sollten die Iraker nicht tatsächlich auf den Jüngsten Tag hoffen, an dem die Hölle die Verbrecher strafte und das Paradies sie belohnte? Was mich schmerzte, war, dass nur gutmeinende Menschen mit uns sympathisierten und dass die Naiven unter ihnen lediglich neugierig auf »die Wahrheit« waren. Und vielleicht konnte ein amerikanischer Soldat nur dann ein guter Mensch sein, wenn er von Sinnen war. Aber der Major war offenbar weder von dieser noch von jener Sorte. Jetzt schwatzte er von einer Demokratie, die unerreichbar war, während die Menschen im Irak nichts weiter als ein Leben in Sicherheit führen wollten.
So oder so, die Ereignisse eilten uns beiden voraus. Während Miller noch nicht wusste, wie er weitermachen sollte, begann ich, meinen weiteren Weg zu planen. Nach Syrien zurückzukehren war nicht meine Absicht, und egal, was aus Miller werden würde, es würde mich nicht daran hindern, das zu tun, was ich vorhatte. Denn noch bevor ich ihn an jenem Tag getroffen hatte, hatte ich eine gute Nachricht erhalten. Mein Plan würde möglicherweise funktionieren, zumindest war meine Bitte erhört worden. Die SMS, die mich erreicht hatte, lautete:
Falls Ihr Entschluss noch
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