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Gottes erste Diener

Gottes erste Diener

Titel: Gottes erste Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter de Rosa
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Geringschätzung der Theokratie bewahrt. Ein Mensch
war unschuldig, bis seine Schuld erwiesen war. Das bürgerliche Recht
garantierte grundlegende Elemente der Gerechtigkeit, die den Angeklagten der
Inquisition verweigert wurden: Ein Mensch wurde durch Gleichrangige beurteilt,
durfte Zeugen zu seiner Verteidigung bringen, hatte das Recht auf einen Anwalt
und eine öffentliche Gerichtsverhandlung. Das Gesetz verbot Folter, denn man
wußte, sie würde nur zu Heuchelei und Meineid führen. Es ist bemerkenswert, daß
einer der wenigen Prälaten, die die Größe hatten, sich Innozenz III.
entgegenzustellen, Stephen Langton war, ein im bürgerlichen Recht bewanderter Engländer.
In großartiger Mißachtung des päpstlichen Absolutismus schrieb er: »Naturrecht
ist bindend für Fürsten und Bischöfe gleichermaßen; von ihm gibt es kein
Entkommen. Es ist außerhalb der Reichweite selbst des Papstes.«
    So weit ging die Einschüchterung
durch die Inquisition, daß kein Theologe, außer »Ketzern« wie Marsilio von
Padua und Martin Luther, seine Stimme gegen sie erhob. Hätte jemand etwas
gesagt — man hätte ihn unverzüglich zum Schweigen gebracht. Hätte er dagegen
geschrieben — er wäre im voraus zensiert worden. Die Tyrannei ging ohne
Widerstand weiter. Nicht ein einziger Bischof in all den Jahrhunderten erhob
seine Stimme im Protest gegen die Greuel an seiner Herde, ein weiterer Beweis
dafür, daß Bischöfe in jenen Tagen Marionetten des Heiligen Stuhls waren. Doch
Protestanten wie Balthasar Hubmaier hatten klarere Köpfe und mutigere Herzen.
Hubmaier schrieb 1524 ein ganzes Traktat gegen das Verbrennen von Ketzern. In
einer eindrucksvollen Reihe von Thesen schreibt er:
     
    Dreizehn:
Die Inquisitoren sind die größten Ketzer von allen, weil sie gegen die Lehre
und das Beispiel Christi Ketzer dem Feuer überantworten.
     
    Vierzehn:
Denn Christus ist nicht gekommen, um zu morden, zu zerstören und zu verbrennen,
sondern damit die, die leben, das Leben in größerer Fülle haben...
     
    Achtundzwanzig:
Ketzer verbrennen ist dem Anschein nach Christus bekennen, in Wahrheit aber ihn
leugnen ...
     
    Sechsunddreißig:
Es ist allen klar, selbst den Blinden, daß ein Gesetz, Ketzer zu verbrennen,
eine Erfindung des Teufels ist. »Die Wahrheit ist unsterblich.«
     
    Der Versuch, das Papsttum mit
dem Hinweis auf zeitgenössische Maßstäbe für die Inquisition zu entschuldigen,
mißlingt aus einem weiteren Grund. Das Papsttum behielt seine üblen Sitten,
lange nachdem jedes zivilisierte Land in Europa sie abgelegt hatte. So, wie die
Reformation im sechzehnten Jahrhundert zur Reinigung einiger Aspekte des
Papsttums beitrug, räumte der von Rom inbrünstig verdammte Liberalismus des
neunzehnten Jahrhunderts schließlich mit der grausamen Tyrannei auf, an der
Päpste und Kurie so übermäßig hingen.
    Ein letzter Makel haftet dem
Hinweis auf frühere Verhaltensnormen an, mit dem das Papsttum entlastet werden
soll. Die ganze Betonung der römisch-katholischen Morallehre liegt heute
darauf, daß sie über zeitgebundenen, relativierenden Betrachtungen steht.
Andere mögen über das Unrecht der Empfängnisverhütung oder Abtreibung
wechselnde Ansichten haben, nicht aber vom Papst geleitete römische Katholiken.
Johannes Paul II. beansprucht zum Beispiel, eine absolute Moral zu lehren, die
auf dem Naturrecht beruht; nicht er, nicht einmal Gott selbst kann sie ändern,
denn sie hat ihre Wurzel und ihren Ursprung in der Natur des Menschen selbst.
    Wenn dies so ist, wie können
Päpste die falschen, folgenschweren, ja verhängnisvollen moralischen Urteile
ihrer vielen Vorgänger entschuldigen, indem sie auf die »zeitgenössischen
Maßstäbe« hinweisen?
    Die katholische Kirche sieht
sich einer schweren Entscheidung gegenüber: Entweder ist ihre Lehre so relativ
wie die aller anderen, und in diesem Fall hat sie keinen besonderen Anspruch
auf Gehör. Oder ihre Lehre ist absolut, und in diesem Fall ist das Verhalten
der Päpste und ihrer Inquisition vollkommen unentschuldbar. Sie kann nicht
sowohl absolute Weisheit als auch Freiheit von historischer Schuld zugleich
beanspruchen.
     
     
    Das Urteil über die Historiker
     
    Im allgemeinen sind die
Historiker unsanft mit der Inquisition umgegangen. Lea,
ein Quaker, der viele Jahre seines Lebens mit der Erforschung ihrer Mechanismen
zubrachte, spricht von einer »unendlichen Reihe von Greueln«.
    Lord Acton, ein Katholik,
behauptet, sie sei nichts weniger gewesen als »religiöser

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