Gottes erste Diener
Johannes’
XXII.
Als Clemens V. im Jahr 1314
starb, versuchte das Konklave zwei Jahre lang, sich auf
einen Nachfolger zu einigen. Schließlich wählten sie in ihrer
Verzweiflung Jacques Duèse aus
Cahors. Das Datum war der 7. August, der Ort Lyon. Der neue Oberhirte nahm den
Namen Johannes XXII. an. Er schien der richtige Mann zu sein. Der
zweiundsiebzigjährige Sohn eines Flickschusters war klein, zierlich und sah
kränklich aus — es war unwahrscheinlich, daß er lange leben würde. Johannes
XXII. sollte sich als harter und zählebiger Papst herausstellen, ehrgeizig,
habgierig, weltlicher als ein Zuhälter und mit einem meckernden Lachen voll
unverbesserlicher Boshaftigkeit. Dies zerbrechliche kleine Ungeheuer sollte
sich noch achtzehn stürmische Jahre halten.
Als er das Amt antrat, war die
Schatulle leer. Clemens IV. hatte absolut alles seinen Verwandten geschenkt.
Johannes machte sich daran, die Dinge in Ordnung zu bringen. Als genialer
Finanzmann arbeitete er auf der Basis: »Was ein Papst geben kann, kann er auch
verkaufen.« Und er verkaufte alles, was einem phantasievollen Franzosen
einfallen konnte. Vergebung für jedes Verbrechen hatte ihren Preis. Katholiken
konnten zum Beispiel für die Absolution von Mord, Inzest oder Sodomie jeweils
eine bestimmte Summe zahlen. Je schlimmer die Katholiken sich aufführten, um so
reicher wurde Seine Heiligkeit. Als die Raubkopie einer Liste von Sünden und
Provisionen veröffentlicht wurde, glaubte man, es sei eine von Feinden der
Kirche zusammengeschmierte Fälschung. Sie war echt, aber die Feinde waren der
Papst und die Kurie. Mit der abseitigsten Alchimie verwandelten sie Laster in
Gold. Sie gaben Sündern das Recht, zu sündigen und ihre Gelübde zu brechen,
oder zumindest die Freiheit, sich den Folgen solchen Handelns zu entziehen.
Johannes XXII. brauchte Geld.
Er hatte eine Leidenschaft für Krieg, besonders die italienischen Kriege. Man
schätzte, daß er 70% seines Einkommens für Rüstung ausgab, was Petrus zum Zorn
und Julius II. zum Neid erregt hätte. Besonders Johannes’ Fehden mit den
Visconti von Mailand erwiesen sich als kostspielig. Ein Zeitgenosse sagte von
ihm: »Das Blut, das er vergossen hat, hätte den Bodensee rot gefärbt, und die
Leichen der Gefallenen hätten ihn von Ufer zu Ufer überbrückt.«
Dieser habgierigste aller
Päpste, der seinen Bruder und seine Neffen wie Gott in Frankreich leben ließ,
widersprach mehreren Päpsten in der Frage der Armut Christi.
Schon zu Lebzeiten des hl.
Franz von Assisi hatten sich unter seinen Brüdern zwei Parteien gebildet: Die
eine war für strikte Observanz, die andere für Mäßigung. Im Jahr 1279 hatte
Nikolaus III. den Bruch mit seiner Bulle Exiit qui seminat notdürftig
repariert. Sie wurde kanonisches Recht. Nikolaus sagte, Armut sei nicht so sehr
eine Angelegenheit der Individuen als vielmehr der Gemeinschaft. Als solche sei
sie verdienstvoll und heilig. Denn dies war die Praxis Christi und seiner
Apostel.
Päpste nach ihm bestätigten,
daß Christus und die Apostel in Armut gelebt hatten; die Evangelien sagten das
deutlich. Honorius III., Innozenz IV., Alexander IV., Nikolaus III. und
Nikolaus V., Bonifaz VIII. und Clemens V. — sie alle waren sich einig.
Nicht aber Johannes XXII. In
einer Bulle vom 12. November 1323, Cum internonnullos, behauptete er: Zu
sagen, Christus und die Apostel hätten kein Eigentum gehabt, ist eine
Perversion der Schrift.
Die Franziskaner-Spiritualen,
bis dahin vom Heiligen Stuhl gepriesen, wurden nun als Häretiker bezeichnet;
die Fürsten mußten sie auf den Scheiterhaufen schicken oder sich selbst auf die
Exkommunikation gefaßt machen. Es war typisch für jene Zeit, daß diese
theoretische Frage zu einem politischen Fußball wurde. Der Kaiser, Ludwig von
Bayern, hatte sich schon mit Johannes XXII. angelegt, als dieser sagte, in
einem Interregnum würde er Verweser des Reiches, und der neue Kaiser müsse
einen Treueeid auf ihn schwören. Johannes wollte die Geschichte auf den Kopf
stellen. Ludwig war seinerseits entzückt, den Papst der Ketzerei bezichtigen zu
können. Er nannte ihn Antichrist, setzte ihn ab und ernannte einen anderen.
Die Wahl des Kaisers fiel auf
Pier di Corbario, einen hinfälligen Franziskaner, der sich Nikolaus V. nannte.
Unglücklicherweise hatte Ludwig seine Hausaufgaben nicht gemacht. Bald tauchte
eine ältere Dame auf und behauptete, sie sei Frau di Corbario. Das waren
schlimme Nachrichten. Anscheinend war Pier verheiratet
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