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Gottes erste Diener

Gottes erste Diener

Titel: Gottes erste Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter de Rosa
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dem die ganze
Menschheitsgeschichte sich wendete. Die wissenschaftliche Revolution war
geboren.
    Zuerst betrachtete er den Mond.
Das waren mehr als Schatten auf seiner Oberfläche, bemerkte er; es waren Berge.
Bald fand er heraus, wie er ihre Höhe anhand der Länge ihrer Schatten ermitteln
konnte. Auch weite Ebenen sah er, die er für Ozeane hielt und die seither die
Mondmeere heißen. In einer sensationellen Extrapolation nahm er an, daß die
Erde für einen Betrachter auf dem Mond genauso aussehen müßte wie der Mond für
einen Betrachter auf der Erde. Er erriet sogar, daß die Erde vom Mond aus in
dunkle Zonen (Meere) und helle Zonen (Land) aufgeteilt wäre. In einem
Augenblick instinktiver Poesie sprach er von Erdenschein, vom »alten Mond in
den Armen des neuen Mondes«, nämlich dem Sonnenlicht, das von der Erde auf den
Mond und zurück reflektiert wird. Er konnte herausfinden, warum unregelmäßige
Oberflächen mehr Licht reflektieren als glatte, und warum der Rand des Mondes
zwar für das bloße Auge glatt aussieht, aber nicht die perfekte Rundung ist,
für die man ihn einst hielt. In einem zweiten, spektakulären Augenblick der
Offenbarung begriff Galileo, daß »Wissenschaftler« seit über zweitausend Jahren
geirrt hatten. Aristoteles und in der Folge Scholastiker wie Thomas von Aquin
hielten es für ausgemacht, daß die himmlische Welt vollkommen verschieden von
der irdischen war. Dort oben, dort draußen gab es keinen Wandel, keinen
Verfall, nur ewiges Bleiben. Dies implizierte eine andere Art Materie als
»hinieden« auf der Erde. Doch durch sein Teleskop sah der Mond der Erde
verdächtig ähnlich. Was, wenn die ganze Schöpfung eins war, ein echtes
»Universum«? Was, wenn die Erde nichts Besonderes war, sondern schlicht ein
Klumpen Materie unter anderen? Und wenn der Mond, so erdähnlich, ohne Schaden
um die Erde kreisen kann, warum kann dann nicht die Erde selbst kreisen? Was,
wenn das ganze Schöpfungsbild, das der Mönch Kopernikus entworfen hatte, real
und nicht bloße mathematische Hypothese war?
    Über zehn Jahre zuvor hatte
Galileo an Kepler geschrieben, er glaube, Kopernikus habe recht. Die Erde war
nicht statisch; sie drehte sich um die Sonne. Doch was, wenn er jetzt anfangen
konnte, diese Überzeugung plausibel zu machen? Nicht nur plausibel, sondern
nachweisbar?
    Von dem Moment an, als Galileo
durch eine Anordnung von Glasstücken den Mond betrachtete, erlebte die Erde ihr
größtes Beben. Sie war nicht länger ein Zentrum, das Zentrum des Weltalls. Und
der Mensch? Wenn er nicht mehr auf dieser zentralen, unbeweglichen Erdscheibe
stand, was sollte man dann über ihn sagen? Selbst der geniale Geist wagte
zuerst nicht, allzu scharf hinzusehen, aus Furcht vor der Erschütterung des
Glaubens, seines Glaubens an die Bibel und die Kirche.
    Eine Frage jagte die andere,
und er antwortete, soweit er konnte. Doch er begriff schnell, daß am
wichtigsten nicht die hundert- oder tausendfache Erweiterung der Weitsicht war.
Was in seinem Kopf umging und ihn berauschte, war der Gedanke, daß niemand vor
ihm je auf diese Weise gesehen hatte.
    Zu seinem Entsetzen weigerten
sich viele Aristoteliker, durch sein Teleskop zu schauen und seine Befunde zu
überprüfen, als er sie darum bat. Sie wußten, sagten sie, schon durch
Berechnungen, die sie auf dem Papier gemacht hatten, und aus dem Vergleich von
Texten, daß der Mond eine glatte, ebene Oberfläche sei. Wie konnte ein Rohr mit
Glasenden Aristoteles und eine jahrhundertealte Deutung der Schrift widerlegen?
Von den wenigen, die einen Blick riskierten, behaupteten die meisten allen
Ernstes, das, was sie sahen, sei in den Linsen, nicht in den Sternen. Galileo
scherzte, wenn sie stürben, würden auch sie auf dem Weg zum Himmel sehen, was
er sah.
     
    Mit fast fünfzig war er nach
zwanzig Jahren der Geldknappheit endlich ein freier Mann. Sein Buch Nuntius
sidereus, Botschaft oder Botschafter der Sterne, wurde sofort ein
Erfolg.
    Zu dieser Zeit hatte Galileo
viele Freunde aus dem Klerus, sogar in Rom selbst, wie den eminenten
jesuitischen Mathematiker Clavius. Clavius bestätigte seine Entdeckungen und
informierte den altgewordenen Kardinal Bellarmine. Dies inspirierte Galileo, im
Frühling 1611 nach Rom zu reisen. Der jesuitische Kardinal war freundlich,
ebenso Kardinal Barberini. Beide rieten ihm, seine Ideen nur als Hypothesen zu
äußern, um Ärger mit den Theologen zu vermeiden. Er wurde in die angesehene
Lynceanische Akademie aufgenommen, die als erste

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