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Gottes erste Diener

Gottes erste Diener

Titel: Gottes erste Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter de Rosa
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unmöglichen Fläche
war mehr als ein Kunstwerk. Es war eine Enzyklopädie der Menschheit. Die Themen
des Alten Testaments schilderten die Reise jedes Menschen von der Geburt zum
Tod. Als Julius triumphierend am Altar die Messe sang, tat er das in dem
Bewußtsein, das größte Kunstwerk in Auftrag gegeben zu haben, das die Welt je
gesehen hatte.
    Durch Michelangelo begann der Papst,
einen neuen Vatikan zu schaffen, der bis heute ein Wunder ist. Um den
christlichen Glauben war es ihm nicht so sehr zu tun. Dies ist eine der Ironien
des Vatikans: Äußerlich, in Kultur, Kunst und Architektur, war die Kirche nie
in besserer Form gewesen; Bramante lebte, dann Michelangelo und Raffael. Innen
gab es nur Korruption.
    Julius’ erste und bleibende
Passion war nicht Kunst, sondern Krieg. Als militärischer Stratege fand er kaum
seinesgleichen. Bei seiner Wahl war er sechzig Jahre; er trug einen
eindrucksvollen weißen Bart, den er in seinen Helm stopfte. Dann bestieg er —
gegen kanonisches Recht in einer Rüstung — sein Schlachtroß und ritt nordwärts,
um für Gott und den Kirchenstaat zu streiten. Obendrein war er erfolgreich. Er
wollte die Gebiete tatsächlich für die Kirche, nicht für seine Familie, wie die
meisten Päpste seiner Zeit. Er eroberte Territorien, die praktisch unverändert
blieben, bis sie im späten neunzehnten Jahrhundert vom neuen Italien geschluckt
wurden.
    Er hielt schon auch gelegentlich
Gottesdienste in der Peterskirche. Es gab Schwierigkeiten. Großer
Schürzenjäger, der er war, hatte er schon als Kardinal drei Töchter gezeugt. So
berichtete sein Zeremonienmeister, am Karfreitag 1508 habe Seine Heiligkeit
sich den Fuß nicht küssen lassen können, »quia totus erat ex morbo gallico
ulcerosus« — »weil er voller Geschwüre von der französischen Krankheit
(Syphilis) war«.
    Das hielt ihn nicht vom Reiten
ab. Keine Szene war repräsentativer für die Renaissance als Julius 11. in
voller Rüstung, der über zugefrorene Gräben rutschte, um durch die Breschen der
Mauer von Mirandola zu klettern, das damals in französischer Hand war, und es
für Christus in Anspruch zu nehmen. In jenem schrecklichen Winter war der Po
mit Eis bedeckt. Der Oberhirte zog einen weißen Mantel über seine Rüstung, und
sein Kopf war mit Schaffell bedeckt, so daß er wie ein Bär aussah, als er
schrie: »Mal sehen, wer die dickeren Eier hat, der König von Frankreich oder
der Papst!« Im Italienischen ist eindeutig, daß er nicht von Hühnereiern
sprach.
    Als Michelangelo eine Statue
von ihm schuf, betrachtete Julius II. sie mit einem verwirrten Ausdruck. »Was
ist das unter meinem Arm?«
    »Ein Buch, Heiliger Vater.«
    »Was weiß ich von Büchern?«
brüllte der Papst. »Gib mir lieber ein Schwert!«
    Seiner Heiligkeit Vorliebe für
Schwert statt Bibel und Sattel statt Stuhl Petri hatte seine Wirkung auf Rom.
Michelangelo, der die Ewige Stadt besser kannte als die meisten, hinterließ in
einem Gedicht seine Eindrücke von Päpsten, die er gekannt hatte:
     
    Aus
Kelchen machen sie Helm und Schwert
    Und
verkaufen eimerweise das Blut des Herrn.
    Sein
Kreuz, seine Dornen sind vergiftete Klingen,
    Und
sogar Christus selbst ist nicht mehr geduldig.
     
    Julius war so wütend auf Ludwig
XII. von Frankreich, der seine militärischen Feldzüge nicht unterstützte, daß
er eine Bulle aufsetzte, die ihm sein Königreich entzog. Der fromme Heinrich
VIII. von England, dessen Lieblingsautor Thomas von Aquin war, sollte es
bekommen, vorausgesetzt, er zeigte sich als guter Katholik, indem er ihm bei
seinen Kriegen half.
    Julius starb, bevor die Bulle
veröffentlicht war. Wäre es nicht so gekommen, wäre vielleicht Frankreich wie
England in der Reformation, die nun unaufhaltsam näherrückte, protestantisch
geworden.
     
     
    Der Hof Leos X.
     
    Nach Julius’ Tod stürzte
Kardinal Farneseaus dem Konklave und schrie: »Kugeln!
Kugeln!« Diese Anspielung auf die Palli im Wappen der Medici wurde von
der Menge sofort aufgegriffen. Sie waren erstaunt.
    Giovanni de’ Medici war erst
achtunddreißig Jahre alt. Es war kein Nachteil für ihn, daß sein Vater der
berühmte Lorenzo Magnifico war und seine Mutter eine Orsini. Er war in ihrem
Familienpalast auf der Via Larga von Florenz und in anderen, ebenfalls üppigen
Umgebungen in Luxus erzogen worden. Mit sieben wurde er bei seiner
Erstkommunion zum Abt gemacht. Als er acht war, wollte der König von Frankreich
ihn als Erzbischof von Aix-en-Provence haben; glücklicherweise schaute

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