Gottes erste Diener
Zeichen der
Zeit zu erkennen. Rom mußte die Hauptstadt des neuen Italien werden. Wollte er
nicht ein »Wort des Friedens« sprechen? Pius’ Reaktion war, diese Rebellen zu
disziplinieren — jeden einzelnen.
Selbst als im schicksalhaften
Jahr 1870 die französischen Truppen, die ihn so lange verteidigt hatten,
abgezogen wurden, um gegen die Preußen zu kämpfen, und ihn mit einer
Operettenarmee zurückließen, wich Pius nicht. Wie er dem diplomatischen Corps
an jenem Vormittag des 20. September sagte, konnte er nicht auf ein
vierzigtausend Quadratmeilen großes Erbe verzichten, das wesentlich für seine
geistliche Autonomie war. Als deshalb Cadornas Geschütze an der Porta Pia
Breschen in die Aurelianische Mauer schlugen, drangen die Bersaglieri mit ihren
Federhüten, die zu seiner 60 000 Mann starken Armee gehörten, in die Stadt ein.
An jedem Gebäude strichen sie die gelb-weiße päpstliche Flagge und hißten die
Trikolore. Die Massen in den Straßen tobten. Für sie war der Papst nicht so
sehr das Kirchenoberhaupt als vielmehr ein weltlicher Tyrann. Dies war der Tag
ihrer Befreiung. Eine Volksabstimmung zeigte, daß sie in einem Verhältnis von
tausend zu eins gegen den Papst und für den König waren.
Cadorna hatte strikten Befehl
gegeben, den Vatikan nicht zu bombardieren. Pius ließ man in Ruhe. Doch als
Viktor Emanuel ihn um Audienz bat, lehnte Seine Heiligkeit ab. Er hatte nur ein
Wort für den König, und es war das der Exkommunikation — einmal mehr wurde eine
geistliche Waffe mißbraucht. Er erneuerte den Bann etwa im Abstand von je zwei
Jahren, so daß der König viermal exkommuniziert wurde, bis er 1878 starb. Dann
durfte er seinen Frieden mit Gott machen, wenn auch nicht mit Seinem ersten
Vertreter auf Erden. Pius verbot auch den Katholiken, am demokratischen Prozeß
des neuen Italien teilzunehmen, ob als Wahlberechtigte oder als Kandidaten.
In den acht Jahren, die ihm
nach der Invasion blieben, blieb der Papst zu Hause und nannte sich ein wenig
dramatisch »den Gefangenen im Vatikan«. Fromme Bildchen zirkulierten überall,
besonders in Irland und Deutschland, die den Papst auf einem Strohlager in
einem modernden Kerker zeigten. Das Ergebnis war, daß der Peterspfennig, die
Gabe der Armen, raketengleich in die Höhe schoß. Sein Kerker war recht
komfortabel, keineswegs wie der von St. Petrus im Mamertin. Ehrlich gesagt, er
hatte mehr Platz, als alle Juden in Rom jahrhundertelang gehabt hatten. Er
besaß einen herrlichen Garten und zahllose Zimmer, in denen er sein Haupt
betten oder gelegentlich mit Kardinal Antonelli Billard spielen konnte. Ein
jakobinischer Dichter sagte es prosaischer als Pius: »Der Papst ist ein
Gefangener seiner selbst.«
Mit dem Garantiegesetz von 1870
bot der König von Italien eine sehr großzügige Regelung an. Auf jedes Angebot,
sogar wenn es finanzielle waren, antwortete Pius: »Non possumus«, »Wir können
nicht«, als sei er aufgefordert worden, am Karfreitag Rinderbraten zu essen.
Bis ganz zum Schluß und noch länger machte er, wie der Vatikan es seit
Jahrhunderten getan hatte, aus einer politischen Angelegenheit eine
Schlüsselfrage der Religion. Obwohl er beanspruchte, einem Meister zu dienen,
der nichts hatte, bestand er darauf, daß er ihm nur als Monarch dienen könnte.
Pius VII. hatte dasselbe zu Napoleon gesagt, als dieser päpstliches Territorium
raubte. »Wir verlangen die Rückerstattung Unserer Länder, denn sie sind nicht
Unser persönliches Erbe, sondern das Erbe des hl. Petrus, der sie von Christus
erhalten hat.« Zu glauben, daß Petrus — ein Fischer aus Galiläa, der
wahrscheinlich nie mehr besessen hat als ein altes Holzboot —von Christus ein
großes Stück Mittelitalien erhalten habe und ohne dies nicht den gekreuzigten
Christus predigen konnte, entbehrte nicht einer gewissen Kühnheit. Doch Pius
IX. schreckte vor einem solchen Glauben nicht zurück. Und deshalb mußte das
Papsttum von einem weltlichen Staat strampelnd und schreiend in das Neue
Testament gezerrt werden.
Die Nichtkatholiken waren
entzückt, daß das Papsttum endlich annähernd auf die Größe des Neuen Testaments
zurechtgestutzt worden war. Die dümmeren prophezeiten sein Abtreten. Sie
unterschätzten das Amt und den Mann.
Theologie war nicht Pius’
starke Seite. Sein Privatsekretär, Monsignore Talbot, bekannte in einem Brief
an W. G. Ward: »Da der Papst kein großartiger Theologe ist, bin ich sicher,
wenn er seine Enzykliken schreibt, ist er von Gott inspiriert.«
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