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Gottes erste Diener

Gottes erste Diener

Titel: Gottes erste Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter de Rosa
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Komplette
Ignoranz tue der Unfehlbarkeit keinen Abbruch, schrieb er, denn Gott könne den
rechten Weg selbst durch das Maul eines sprechenden Esels zeigen. Ohne es zu
wollen, hatte Talbot die Höhen Voltaires erreicht.
    Was Pius an Intellekt fehlte,
machte er durch animalische List mehr als wett. Er hatte sich auf eine
ansonsten düstere Zukunft schon mit einem Schachzug vorbereitet, dessen
Kühnheit selbst Gregor VII. bewundert hätte.
     
    Zwei Monate vor der Invasion
Roms hatte Pius den Vorsitz über die Schlußsitzung des Ersten Vatikanischen
Konzils geführt. Im Gegensatz zur Eröffnung ein Jahr zuvor war der Petersdom
fast verlassen. In der Königsloge waren zwei Damen, eine davon die Infantin von
Portugal, sowie ein klappriger Offizier mit dem Orden des hl. Januarius auf der
Brust. Die Diplomatenloge hatte ebenfalls viele leere Sitze. Die Großmächte
hatten ihre Botschafter angewiesen, diese Sitzung zu boykottieren, weil dabei
nichts für sie herauskommen würde.
    Das Wetter war schlecht. Die
ganze Nacht über hatte ein Sturm gedroht. Für einen Morgen Mitte Juli in Rom
war das Licht außerordentlich schwach.
    532 Bischöfe waren im
nördlichen Querschiff der Basilika, alte Männer in weißen Chorhemden und weißen
Mitren. Für viele, wie für Manning von Westminster, war dies der größte Tag
ihres Lebens. Nur durch das Haupttor des Querschiffes konnten Außenstehende
einen Blick auf die Vorgänge erhaschen. Der Papst humpelte fast unbemerkt
herein; er legte die Gewänder an und intonierte das Veni Creator Spiritus. Dann verlas ein Bischof mit der Stimme eines Bassisten in einer Verdi-Oper die
neue Konstitution, Pastor aeternus, und die namentliche Abstimmung folgte.
    Nun brach der berühmteste Sturm
aller Zeiten wie der Zorn Gottes über den Petersdom herein. In der Pause
zwischen jedem placet der Konzilsväter rollte der Donner. Das Timing war
liturgisch präzise. Der Blitz leuchtete durch jedes Fenster; er flackerte durch
die große und jede kleinere Kuppel und machte aus der Bronze von Berninis baldacchino leuchtendes Gold.
    Eineinhalb Stunden wütete der
Sturm, bis die Abstimmung beendet war. Nur zwei Bischöfe hatten non placet gestimmt: Riccio von Cajazzo in Neapel und Fitzgerald von Little Rock,
Arkansas. Doch 140 Bischöfe hatten sich nicht blicken lassen. Ein placet hätte ihr Gewissen beleidigt, ein non placet hätte den Heiligen Vater
vor der Welt beleidigt.
    Eine Aufschlüsselung des
Wahlergebnisses ist lehrreich. Dreihundert der fünfhundert Bischöfe, die den
Papst unterstützten, waren Titularbischöfe oder Vatikanbeamte, die in Rom auf
Pius’ Kosten lebten. Die meisten Andersdenkenden hatten Diözesen, deren
Glaubenshaltungen und Meinungen sie beim Konzil vertraten. Mindestens zwei
Drittel der amerikanischen Bischöfe, allen voran Kenrick von St. Louis, waren
gegen die Definition, weil sie glaubten, sie würde Bekehrungen erschweren.
    Die bloße Zahl der
Oppositionellen bewies, daß die Kirche für eine so folgenreiche Entscheidung
nicht bereit war; sie wurde getroffen, aber sie spiegelte die Meinung der
westlichen Kirche nicht angemessen wider. Es ging um eine sehr wichtige
Wahrheit, und viele hielten den Erlaß für fehlerhaft. Wie Bischof Strossmayer
in einer Sitzung unverblümt sagte:
     
    Diesem
Konzil fehlt es sowohl an Freiheit als auch an Wahrheit.... Ein Konzil, das die
alte Reget von der Notwendigkeit moralischer Einstimmigkeit mißachtet und
anfängt, über Dinge des Glaubens und der Moral mehrheitlich zu entscheiden,
wird nach meiner innersten Überzeugung das Recht verwirken, das Gewissen der
katholischen Welt als Bedingung des ewigen Lebens oder Todes zu binden.
     
    Pius IX. weigerte sich, die
Opposition anzuhören, und behauptete, er sei »lediglich das Sprachrohr des
Heiligen Geistes«.
    Durch die Verabschiedung des
Dekrets ohne Rücksicht auf die orthodoxe Kirche oder die Protestanten schien
Pius die jahrhundertealte Kluft zwischen Rom und den anderen großen
christlichen Gemeinschaften zu verewigen.
    Die Meinungsunterschiede bei
Pius’ Konzil standen in scharfem Kontrast zum Konzil von Konstanz im
fünfzehnten Jahrhundert, als beschlossen wurde, daß die gesamte Kirche, auch
der Papst, einem Allgemeinen Konzil untersteht. Man wird sich daran erinnern,
daß dies in Konstanz einstimmig beschlossen wurde. Nicht einmal die Kurie oder
der künftige Papst, Martin V., erhoben den geringsten Einwand.
    Das Vatikanische Konzil erwies
sich als weiterer Pyrrhussieg für das

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