Gottes erste Diener
an, der beansprucht hat, in allen Leidenden zu leiden. Ein
Christ sollte, wo er auch ist, ein Zeichen dieser katholischen, allumfassenden
Liebe sein. Doch Rom hat den Katholizismus durch seine Tendenz zum Absolutismus
und seine Machtgier zum Romanismus gemacht. Häretische Päpste von heldenhafter
persönlicher Askese haben von den Katholiken nicht nur geistlichen, sondern
auch politischen Gehorsam verlangt. In der Folge schuldeten die Katholiken
manchmal scheinbar, manchmal tatsächlich einer ausländischen Macht, die in der
Maske der Stellvertreter Christi daherkam, politische Loyalität. Sie war nicht
etwa allumfassend, sondern wurde als unpatriotisch angesehen.
Die Katholiken in England
sprach Rom von der Pflicht frei, Elizabeth zu stürzen. Allerdings wurden sie
gewarnt, im Fall eines Angriffs auf England müßten sie dem Eindringling helfen,
die Königin abzusetzen. Von nun an waren die englischen Katholiken
jahrhundertelang keine richtigen Engländer.
Wie Trevelyan in A Shortened
History of England schreibt: »Bis die römische Kirche auf der ganzen Welt
aufhörte, die Methoden der Inquisition anzuwenden, das Massaker der
Bartholomäusnacht, die Absetzung und Ermordung von Fürsten, wagten die Staaten,
die sie mit ihrem schrecklichen Bann belegte, nicht, ihren Missionaren Duldung
zu gewähren.«
Im sechzehnten Jahrhundert fiel
das Christentum auseinander. Der Protestantismus war eine etablierte Tatsache.
Die Reformation hatte in Europa so fest Fuß gefaßt, daß einst durch und durch
katholische Länder wie England von »häretischen« Monarchen beherrscht wurden.
Selbst in Frankreich war der Protestantismus eine Kraft, der es bestimmt war,
die schlimmsten Verfolgungen zu überdauern.
Die katholische Kirche zog sich
in der Periode, die später als Gegenreformation bekannt wurde, auf sich selbst
zurück. Sie war genauso sektiererisch wie der lutherische und der calvinistische
Protestantismus auf der Gegenseite. Polemik beeinträchtigte ihr ganzes Denken.
Originalität war Anathema. Es war die Zeit des Schulterschlusses. Überleben war
das Beste, das zu erhoffen war; und das Papsttum war der größte
Überlebenskünstler der Geschichte.
Die Französische Revolution im
Jahr 1789 erschütterte den kirchlichen Seelenfrieden noch mehr. Ein neuer Geist
ging um, der Geist »uneingeschränkter Freiheit«. Er schien es darauf anzulegen,
nicht nur die alten absolutistischen Monarchien zu zerstören, die anciens
régimes, sondern auch Religion und moralischen Anstand. Dies war in den
Augen der Päpste Teufels werk. Für eine Institution, die vor allem anderen für
Ordnung stand, war es Anarchie. Es war unvermeidlich, daß die katholische
Kirche sich noch mehr auf sich selbst zurückzog und von ihrem althergebrachten
Erbe zehrte. Wie konnte man von ihr erwarten, »Freiheit« in der Gestalt des
Atheismus hinzunehmen?
In den nächsten paar Jahren
versetzte Napoleon dem Papsttum einen weiteren schweren Schlag. Er demütigte
zwei Oberhirten nacheinander. Pius VI. wurde abgesetzt und ins Exil nach
Valencia gezwungen, wo er im letzten Jahr des achtzehnten Jahrhunderts starb.
Sein Nachruf im örtlichen Register lautete: »Name: Bürger Johannes Braschi.
Beruf: Papst«. Auch Pius VII. wurde nach einem erfolglosen Konkordat 1801
verbannt und mußte bei Napoleons Krönung in Notre-Dame zelebrieren. In dem
feierlichen Augenblick hatte Napoleon sich über den Papst hinweggesetzt, indem
er sich und Josephine selbst krönte, dann hatte er den Kirchenstaat annektiert.
Aber, muß Pius IX. (1846—78) gedacht haben, hatte der Wiener Kongreß (1814—15)
diese kostbaren Gebiete nicht ihrem rechtmäßigen Besitzer, Gott, zurückgegeben?
Dasselbe würde wieder geschehen, wann immer Gott es wollte. Oder war König
Viktor Emanuel mächtiger als Napoleon? Es war nur eine Frage der Geduld.
Pius IX., ein tapferer Mann,
sah nicht, was ihm ins Gesicht starrte.
Papsttum: Ende oder Neuanfang?
Der kleine, alte Mann mit weißem Haar und rundem Gesicht wurde durch Kanonenschläge
aus dem Schlaf gerissen. Die Fenster schepperten, sein Eisenbett wackelte ein
wenig auf dem Marmorboden. Die Fensterläden waren noch zu, doch weil es ein
dunkler Morgen im späten September war, konnte er seine Uhr ohnehin nicht
sehen. Schwer atmend und zuckend kämpfte sich der alte Mann in seinen Kissen
hoch. Sein Hexenschuß machte ihm jede Bewegung zur Qual; besonders die Hüften
taten ihm weh. Sobald er oben auf dem Kissen war, bekreuzigte er
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