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Gottes erste Diener

Gottes erste Diener

Titel: Gottes erste Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter de Rosa
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sich.
    In diesem Moment wurde die Tür
aufgestoßen. Eine hagere Gestalt, im Morgenmantel und mit brennender Lampe,
verbeugte sich, trat ein und fiel auf die Knie. Der Mann im Bett knurrte: »Che
ora?« »Kurz nach fünf, Heiligkeit.« »Also hat es angefangen, Leonardo.«
Kardinal Antonelli, altgedienter Staatssekretär Pius’ IX., senkte den Kopf.
»Und Kanzler?« fragte der Papst. »Der General handelt nach Euren Befehlen,
Heiligkeit. Er wird zum Schein Widerstand leisten, um zu beweisen, daß der
Feind hier nicht willkommen ist. Aber...« Antonellis lange, krumme Finger
flatterten, um anzudeuten, daß die Stadt fallen würde, und zwar sehr bald.
    Als Pius sich mit Hilfe eines
Kammerdieners angekleidet hatte, ging er auf Krücken zu seiner kleinen Kapelle,
um die Messe zu feiern. Über sein dringliches Anliegen gab es keinen Zweifel.
Daß Gott die Ewige Stadt vor diesen piemontesischen Vandalen erretten möge, die
sich mit dem Satan verbündet hatten.
    Das Krachen und Heulen der
Kanonen war deutlich zu hören, während Seine Heiligkeit den Übungen der
Frömmigkeit oblag. Bomben fielen weniger als eine Meile entfernt. Es war
eindeutig ein Angriff von zwei Seiten. Als er bei der Danksagung angelangt war,
wurde ihm mitgeteilt, daß die Hauptstreitmacht unter General Cadorna an der
Porta Pia konzentriert war. Zwanzig Verteidiger waren getötet und fünfzig
verwundet worden. »Requiescant in pace«, murmelte der Papst und bekreuzigte
sich. Diese jungen Männer, im Frühling ihrer Jahre nutzlos gefällt, waren die
letzten Opfer der weltlichen Ambitionen des Papsttums.
    Pius bat Antonelli, so rasch
wie möglich eine Sitzung des diplomatischen Corps zu arrangieren. Die
Botschafter versammelten sich am Vormittag in einem Audienzzimmer mit Blick auf
die Engelsburg. Der Papst zeigte auf sie und sagte nichts. Sie schauten auf die
weiße Flagge über der Burg. Kapitulation.
    Es war 1870. Genau drei
Jahrhunderte nach Regnans in excelsis wurde der König von einem
weltlichen Monarchen vom Thron gestoßen. Große Institutionen sind Opfer großer
Ironien. Doch in all den fünfzehnhundert Jahren der weltlichen Macht der Päpste
war kein Augenblick bitterer als dieser.
     
    Doch er war voraussehbar; er
war tatsächlich seit mindestens zwei Jahrzehnten unvermeidbar. Aber Pius IX.
war überzeugt, daß die Zukunft immer sein würde wie die Vergangenheit.
     
    Er war seit vierundzwanzig
Jahren Papst. Metternich, der österreichische Kanzler, der vierzig Jahre lang
Europa dominierte, gab ein beißendes Urteil über ihn ab, das gar nicht so
falsch war: »Warmherzig, schwachköpfig und vollkommen unvernünftig.«
    Er begann 1846 mit dem Ruf
eines Liberalen. Im Haus seiner Vorfahren, hieß es, seien sogar die Katzen
Nationalisten. Kaum war er auf dem Thron, erließ er eine Amnestie für
politische Gefangene. Auf der ganzen Halbinsel hatten die verschiedensten Arten
von Menschen das Gefühl, der Allmächtige habe sich ihrer vielleicht endlich
erbarmt. Hatte Er ein Wunder gewirkt und ihnen einen liberalen Papst gesandt,
einen, der die acht disparaten Regionen Italiens in die Einheit führen würde,
die alle ersehnten? Ich hoffe zu Gott, bemerkte jemand, daß der Papst seine
Familienkatze nicht enttäuschen wird. Die Italiener klagten seit langem, Gott
habe es mit ihrem sonst lieblichen, meerumspülten Land nicht gut gemeint:
unpassierbare Berge im Norden, zwei Vulkane im Süden und, am
allerbedrohlichsten, ein Papst in der Mitte.
    Zwei Jahre im Amt wandelten
Pius. Ein republikanischer Aufstand in Rom zwang ihn, in schwarzer Kutte und
dunkler Brille nach Gaeta im Königreich Neapel zu fliehen. Da wurde er zur
Sache der Reaktion bekehrt. In seinem zweijährigen Exil lernte er all seine
linken Sympathien bereuen und wurde zum härtesten Vertreter der harten Linie.
Sein einziger Berater in jenen entscheidenden Jahren war Antonelli, der Sohn
eines neapolitanischen Banditen, berüchtigt für seine Liebesabenteuer. Dieser
Prälat, der eher für Brechen als für Biegen war, eher für Töten als für
Vergeben, starb dann beladen mit Reichtümern, über deren Herkunft bis zum
heutigen Tag niemand etwas weiß.
    Als Pius ein paar Jahre nach
dieser bitteren Erfahrung gebeten wurde, Oberhaupt einer Föderation Italien zu
werden, lehnte er kategorisch ab. Er war gegen jede Form von Freiheit und
Änderung der Verfassung. Sein eigenes Ziel war es, als absoluter Monarch die
Gebiete zu halten, die er beherrschte, Ohne daß irgend jemand sich

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