Gottes geheime Schöpfung: Thriller (German Edition)
besaß. Einige Einheimische hatten in ihrem ganzen Leben noch keine roten Haare gesehen, und James’ Personenbeschreibung würde sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Paul dagegen fiel nicht weiter auf. Sein Gesicht war nur ein weiteres, leicht asiatisch aussehendes Antlitz mit prominenten Wangenknochen in der Menschenmenge, obwohl er die meisten Einheimischen um gut dreißig Zentimeter übe rragte.
In dieser Nacht lag James auf einem der Doppelbetten und starrte an die Decke. »Falls diese Knochen keine Menschenknochen sind … Ich frage mich wirklich, wie diese Wesen wohl ausgesehen haben.«
»Sie kannten Feuer und hatten bereits Steinwerkzeuge«, erwiderte Paul. »Sie waren uns wahrscheinlich ziemlich ähnlich.«
»Wir tun immer so, als wären wir die Auserwählten, weißt du das? Aber wenn es nicht so gewesen ist?«
»Denk einfach nicht darüber nach«, empfahl ihm Margaret.
»Wenn Gott jetzt all diese verschiedenen Arten … all diese unterschiedlichen aufrechten Gänge, diese verschiedenen Optionen schon zu Anfang gehabt hat und wir einfach nur diejenigen sind, die all die anderen Rassen ausgelöscht haben?«
»Halt den Mund«, sagte sie.
»Wenn es nicht nur einen Adam gab, sondern Hunderte von Adams?«
»Halt endlich deinen verdammten Mund, James!«, zischte Margaret.
Dann herrschte lange Zeit Stille, und nur die Straßengeräusche drangen durch die dünnen Wände.
»Wir oder die anderen«, sagte James leise. Es war keine Frage, sondern etwas anderes, eine Auflistung von zwei gleichberechtigten Alternativen. Nach einer weiteren langen Pause fuhr er fort: »Paul, wenn du es schaffst, deine Proben zu deinem Labor zu bringen, dann kannst du es herausfinden, hab ich recht?«
Paul dachte an die Leute des Analyseteams und überlegte. Er schwieg.
»Die Gewinner schreiben die Geschichtsbücher«, sagte James. »Vielleicht schreiben die Gewinner ja auch die Bibeln. Ich frage mich, welche Religion wohl mit ihnen gestorben sein mag.«
Am nächsten Tag ging Paul los, um Lebensmittel einzukaufen. Sie hatten keine Wahl, denn sie hatten nichts mehr zu essen. Als er zurückkam, war Margaret verschwunden.
»Wo ist sie?«
»Sie ist weg. Sie hat gesagt, sie käme gleich zurück«, antwortete James.
»Warum hast du sie nicht aufgehalten?«
»Wie hätte ich das tun sollen? Einfach festhalten? Sie sagte, sie würde nicht lange wegbleiben, und dann ist sie gegangen.«
Sie aßen schweigend: Nudeln und Fisch.
Der Tag neigte sich dem Abend entgegen. Als es dunkel wurde, war ihnen beiden klar, dass Margaret nicht zurückkommen würde.
»Wie sollen wir von hier aus nachhause kommen?«, wollte James wissen.
»Keine Ahnung.«
»Und deine Proben? Wie willst du sie von dieser Insel runterbringen? Selbst wenn wir es bis zu einem Flughafen schaffen, werden sie dich niemals mit diesen Proben in ein Flugzeug steigen lassen. Man wird dich durchsuchen. Dabei wird man die Proben finden und sie konfiszieren.«
»Wir werden einen Weg finden, sobald sich die Lage etwas beruhigt hat.«
»Die Lage wird sich niemals beruhigen.«
»Wird sie wohl.«
»Du verstehst es immer noch nicht, trotz allem, was passiert ist, richtig?«
»Was verstehe ich nicht?«
»Was diese Knochen bedeuten könnten«, meinte James. »Wenn deine ganze Kultur auf einer einzigen Idee beruht, kannst du es dir unmöglich leisten, eines Irrtums überführt zu werden.«
Obwohl er fest schlief, hörte Paul es. Irgendetwas. Es war etwas am Rand seines Bewusstseins, was er nur ganz schwach wahrnahm.
Er hatte gewusst, was da kam, obwohl es ihm bis zu diesem Moment nicht klar gewesen war. Das Knarren von Holz, der sanfte Luftzug, als eine Tür geöffnet wurde.
Schock und Überraschung wären besser gewesen – hereinstürmende Soldaten, Verhaftung, Verbannung, Deportation, ein Rechtssystem, wie korrupt es auch sein mochte. Aber ein leiser Mann im Dunkeln konnte vieles bedeuten. Nichts davon war gut.
Paul atmete. In ihm breitete sich eine gewisse Kälte aus, als wäre ein Teil von ihm tot, ein Teil, der niemals Angst haben konnte. Es war der Teil in ihm, den sein Vater dort geschaffen hatte.
Paul blickte suchend in die Dunkelheit und fand sie schließlich: die Stelle, wo sich ein Schatten bewegte, wo ein schwacher Luftzug durch den Raum wehte. Falls es wirklich nur einer war, hatte er eine Chance.
Er überlegte, ob er weglaufen oder zur Tür rennen, die Proben und dieses Hotel einfach zurücklassen sollte. Aber James, der immer noch schlief, hinderte ihn daran.
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