Gottes geheime Schöpfung: Thriller (German Edition)
Besucher schlenderten umher. Familien mit Kindern, Touristen mit Kameras. Vor ihm, in der Mitte der Fläche, teilten sich Elefanten den Raum mit Dinosaurierknochen.
Paul starrte einen Augenblick auf das ungeheure Skelett.
Er hatte künstlich aufgebaute Skelette schon immer irgendwie beunruhigend gefunden. Sie standen allzu aufrecht wie eine unnatürliche Kreatur. Es störte ihn nicht, wenn die Knochen auf dem Boden lagen oder auf Filz und dort annähernd ihrem natürlichen Aufbau nachempfunden waren. Aber dieser einzelne zusätzliche Schritt, sie aufrecht hinzustellen, war eben ein Schritt zu viel. Er deutete etwas an, was nicht da war. Knochen, die mit geisterhaften Sehnen und geisterhaften Bändern verbunden waren und von geisterhaftem Fleisch zusammengehalten wurden. Eine artifizielle Konstruktion. In diesem Fall war es ein Dinosaurier, Tyrannosaurus Rex oder so etwas Ähnliches. Eine Spezies, schon vor langer Zeit untergegangen und begraben, die jetzt wieder ans Licht gezerrt wurde.
Er näherte sich dem Informationstresen. »Ich würde gerne mit jemandem von Ihrer Knochenabteilung sprechen.«
Die Frau hinter dem Tresen sah ihn an, als hätte er etwas auf Chinesisch gesagt.
Er änderte die Taktik. »Ich würde gerne mit Lillivati Gajjar sprechen.«
»Arbeitet sie hier?«
»Ja.«
»In welcher Abteilung?«
»Paläografische Analyse.«
Wieder dieser Blick!
»Sie hat mit Knochen zu tun«, sagte er.
»Ich werde sehen, was ich tun kann.«
Sie nahm den Telefonhörer ab und wählte eine Nummer. Nach einer kurzen Pause sagte die Frau: »Hier ist ein Mann, der mit einer gewissen Lillivati Gajjar sprechen will.«
Wieder eine Pause. »Okay, stellen Sie mich durch.« Nach wenigen Momenten sprach sie erneut. »Hallo, hier spricht der Informationstresen. Hier ist ein Mann, der Miss Gajjar sprechen möchte. Hmm-mmh.«
Die Frau wandte sich ihm zu. »Worum geht es?«
»Ich bin ein alter Freund.«
Die Frau wiederholte Pauls Worte. Wieder eine Pause. »Wie war noch mal Ihr Name?«, wollte sie dann wissen.
»Paul Carlsson.«
Wieder wiederholte sie, was er gesagt hatte. Diesmal dauerte die Pause länger.
So lang, dass er sich fragte, was wohl auf der anderen Seite der Leitung vor sich ging.
»Ich komme von Westing«, erklärte Paul. »Das ist ein Laboratorium. Ich bin hier, um über Knochenproben zu sprechen.«
»Er sagt, er kommt von einem Labor«, gab die Frau weiter. Pause. Dann: »Ja. Ja, okay.« Sie legte auf.
»Sie kommt runter. Sie können hier auf sie warten.« Sie deutete auf die Bänke an den Wänden.
»Danke.«
Paul ging zu den Bänken und setzte sich. Die Zeit schien langsamer zu verstreichen. Er legte den braunen Umschlag auf seine Oberschenkel und beobachtete die Spiegelungen der Leute in dem blanken Boden, wenn sie vorbeigingen. Er lauschte dem Klacken der Absätze, dem langsamen Rhythmus der Gespräche der Besucher. Das Licht war wundervoll hier. Strömte durch die gewaltigen Oberlichter in der Decke herein.
Fünf Minuten später sah er Lillivati den großen Vorraum durchqueren. Sie war so schön wie eh und je. Und schlank. Sie trug ihr Haar kurz, ein bisschen wie ein Kobold. Es umrahmte ihr ovales Gesicht. Auf dem weißen Laborkittel war auf der Brust ihr Name eingestickt.
»Du hast zugenommen«, waren ihre ersten Worte. Sie schüttelte seine Hand. Ihre Hand fühlte sich zierlich und kühl an. Dann legte sie den Kopf auf die Seite und lächelte. »Das steht dir. Früher warst du immer viel zu dünn. Komm mit.«
Lillivati führte ihn nach draußen.
Sie gingen zu einem ruhigen Platz am Rand des Gebäudes unter einen Balkon und sahen zu, wie der Regen einsetzte.
»Ich habe nur ein paar Minuten Zeit«, sagte sie und zündete sich eine Zigarette an. »Heute ist ein höllischer Tag.«
»Danke, dass du dir Zeit für mich nimmst.«
»Das mit uns ist schon Jahre her, Paul. Ich habe mich immer gefragt, ob ich dich jemals wiedersehen würde.«
»Ich habe mir gedacht, dass du lieber nichts von mir hören möchtest.«
Sie wischte seinen Kommentar mit einer Handbewegung zur Seite. »Ich habe sehr lange gehofft, von dir zu hören.«
»Und was ist dann passiert?«
»Ich habe aufgehört zu hoffen. Das Leben geht weiter.«
»Das stimmt allerdings.«
»Und jetzt bist du hier in Chicago«, sagte sie. Das war eine Feststellung, keine Frage.
»Ja. Ich bin heute von Baltimore hergefahren.«
»Du bist gefahren? Gütiger Himmel, was ist mit dir los, traust du Flugzeugen etwa nicht?«
»Natürlich
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