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Gottes Gehirn

Gottes Gehirn

Titel: Gottes Gehirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Johler , Olaf-Axel Burow
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blamieren“, sagte der Mann gereizt. „Oder schlepp du die Koffer, dann nehme ich ihn auf den Arm.“
Durch die Lautsprecher ertönte die Ansage, dass der California Zephyr in wenigen Augenblicken einfahren würde. Bitte Vorsicht.
„Ich freue mich auf die Fahrt“, sagte Troller. „Es ist die schönste Zugfahrt Nordamerikas. Erst den Colorado entlang, Denver, in die Rockies, Salt Lake City, Reno und dann über den Donnerpass in die Sierra Nevada, und das alles aus in einem First-Class-Sessel mit Panoramablick.“
„Woher weißt du das alles?“
„Ich hab mal mit einem Freund diese Fahrt gemacht.“
In diesem Moment fuhr der Zug mit einem kurzen Pfeifen in den Bahnhof ein. Gleichzeitig schrie der ältere Mann plötzlich laut und wütend auf. „Er hat mich gebissen, dein Scheißköter“, rief er und hielt seiner Frau die blutende Hand hin. „Er hat richtig zugebissen.“
„Biccy!“, rief die Frau. „Biccy, hierher! Biccy, wo willst du denn hin?!“
Biccy the Beagle hatte offenbar wirklich keine Lust, mit dem California Zephyr nach San Francisco zu fahren. Er sprang hinunter auf die Gleise und rannte mit wehenden Ohren vor dem Zug her, der aber bereits abbremste und zum Halten kam.
„Ohne Biccy können wir nicht fahren“, jammerte die Frau.
„Deine verdammte Töle“, fluchte der Mann noch einmal und leckte sich das Blut aus der Wunde.
„Ich hab mit dem Schlafwagenschaffner gesprochen“, sagte Jane, als sie sich im Speisewagen zu Troller an den Tisch setzte. Eine hübsche Lampe stand auf dem Tisch. Sie verbreitete ein gedämpftes Licht und spiegelte sich in der Scheibe.
„Und?“
„Es ist doch noch ein Abteil frei geworden. Ein Ehepaar mit Hund ist nicht gekommen.“
„Aha“, machte Troller. Es sollte wieder so ein unbekümmertes, amerikanisch-ironisches Aha sein, aber es gelang ihm nicht, seine Enttäuschung zu verbergen. „Und du hast es genommen?“
„Ja“, sagte Jane und nahm für einen Augenblick seine Hand. „Damit du endlich mal ausschlafen kannst.“
Das war schon fast perfide. Sie wollte nicht mit ihm zusammen in einem Abteil schlafen und tat so, als handele es sich um reine Fürsorglichkeit. Tut mir Leid, aber ich glaube, es ist besser für dich, wenn du mal allein bist. Als ob er das nicht selbst entscheiden könnte! Aber was konnte er schon erwarten? Sie waren ein gutes Team, ganz ohne Zweifel, aber wenn der Job zu Ende war, würde jeder wieder seiner Wege gehen. Sie würde Politiker ins Schwitzen bringen und er Artikel über die neuesten Entwicklungen der Wissenschaft schreiben. Und sonst? Sie war sowieso viel zu schön und, wie man heute sagen würde, zu „fit“ für ihn. Also, vergiss es, Troller. Mach dich nicht lächerlich!
Das Essen war vorzüglich. Sogar die Nachspeise. Mousse au Chocolat in drei Variationen. Der Koch hätte nur darauf verzichten sollen, das eine Symphonie zu nennen. Es war ein Trio, mehr nicht.
„Vermisst du eigentlich deine Tochter manchmal?“, fragte Jane unvermittelt.
„Sarah?“ Troller schaute sie überrascht an. In den letzten Tagen hatten sich die Ereignisse so überschlagen, dass er kaum noch an Sarah gedacht hatte. Sie kam ihm unendlich fern vor. Aber jetzt, wo Jane ihn an sie erinnert hatte, spürte er die Sehnsucht oder die Wehmut oder was es nun war. „Ja“, sagte er, „ich vermisse sie.“
„Wie ist das so mit ihr?“
Ihm fiel ein, wie er Sarah zum ersten Mal den Mond gezeigt hatte. Er hatte sie auf seinem Arm getragen und die Wärme dieses kleinen Körpers genossen. Sie hatte auf die gelbe Scheibe da oben am Nachthimmel gezeigt – da! –, und er hatte ihr das Wort dazu genannt. Papa, Mond!, hatte sie daraufhin immer wieder gesagt, jeden Abend aufs Neue. Ihr Staunen war auf ihn übergegangen, und es war ihm vorgekommen, als entdecke er selbst den Mond das erste Mal. Wie alt war sie da gewesen? Zwei?
„Wir hatten eine tolle Zeit, als sie noch klein war“, sagte er. „Schon mit einem Jahr war sie ganz versessen auf Bücher. Wenn sie in meinem Bett schlief, waren ihre ersten Worte nach dem Aufwachen: Papa, Buch! Und abends wollte sie immer, dass ich ihr Lieder auf der Gitarre vorspiele.“
„Und wie alt ist sie jetzt?“
„Fünf.“
„Und ist es jetzt immer noch so toll?“
Er musste einen Augenblick nachdenken, bevor er eine Antwort geben konnte. „Die Trennung hat ihr einen Knacks gegeben“, sagte er. „Wenn sie bei mir ist, braucht sie erst mal ein paar Stunden, bis sie schmusen will. Wahrscheinlich hat sie Angst vor der

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