Gottes Gehirn
auf dem Bahnsteig auf und ab gingen und Troller sich hin und wieder misstrauisch umsah. „Warum fahren wir nicht nach Seattle zu Jeff Adams?“
„Wir werden in San Francisco mit Rubinowitz sprechen. Ich hab von Marconi aus mit ihm telefoniert, während du dein Kostüm gewechselt hast.“
Jane trug wieder ihre alte Kluft: Jeans und Lederjacke. Troller war erleichtert, sie nach langer Zeit wieder mal in dieser Aufmachung zu sehen, obwohl ihm die Kostüme, die sie für die Interviews gewählt hatte, auch gut gefallen hatten. Verdammt gut sogar. Wenn er daran dachte, wie sie bei Turner ausgesehen hatte, mit dem Minirock und dem ausgeschnittenen T-Shirt, wurde ihm ganz anders. Aber so, in dieser Montur, war Jane ihm am vertrautesten. So kannte er sie von früher her, aus der Redaktion. Nur mit dem Unterschied, dass er sie damals für zu jung, zu selbstbewusst, zu kaltschnäuzig gehalten und gedacht hatte, dass er sie nicht mochte, während er nun in sie verliebt war. Er fand sie begehrenswert, er liebte ihr Lächeln, er hatte den allergrößten Respekt vor ihrem Mut und ihrem klaren Verstand, er bewunderte sie, und er wusste doch auch, wie verletzlich sie war. Wenn er daran dachte, wie sie vor ein paar Tagen in New Orleans vor dem riesigen Kran gestanden und zu der leeren Führerkabine hochgeschaut hatte oder wie sie letzte Nacht in Chicago in sein Zimmer gekommen war! War das wirklich erst letzte Nacht gewesen?
In der kommenden Nacht würde sie wieder bei ihm schlafen, vielleicht nicht im selben Bett, aber im selben Schlafwagenabteil. Jane hatte ein eigenes Abteil gewollt, aber es war nur noch eins frei gewesen. Und auch das hatten sie nur bekommen, weil irgendjemand in Chicago es sich in letzter Sekunde anders überlegt hatte.
„Wer ist Rubinowitz?“
„Physiker an der Universität von Berkeley. Quantenphysik. Ein erstklassiger Wissenschaftler. War auch auf der Konferenz. Und er kennt sich in den Grenzbereichen der Wissenschaft aus. Nicht nur mit den Parallelwelten, von denen die Physiker heute alle reden, sondern auch mit dem, was jenseits der Mauer ist.“
„Welcher Mauer?“
Troller erzählte Jane von Kranichs Vortrag und seiner Prognose, dass die Mauer, die die Wissenschaft um unsere Welt und unsere Wahrnehmung gezogen hatte, fallen würde. Das stimmte übrigens auch mit dem überein, was Behrman herausgefunden hatte. Vielleicht gab es wirklich eine neue Melodie des Lebens oder einen neuen Grundton, eine neue Frequenz.
„Und woher weißt du das?“
„Was?“
„Dass Rubinowitz mehr darüber weiß.“
„Ich habe ihn vor ein paar Jahren in Potsdam auf dem Einstein-Forum kennen gelernt. Er hat mir ein paar merkwürdige Dinge erzählt. Von den australischen Aborigines und ihrem Glauben, dass wir nur Traumgestalten im Traum des Großen Träumers sind, von den Geistreisen der indianischen Schamanen, von luziden Träumen und davon, was sie physikalisch bedeuten, und von der Kabbala, der jüdischen Geheimlehre und Mystik. Wenn es jemanden gibt, der uns sagen kann, was passiert, wenn jemand ein höheres als unser Bewusstsein erzeugt, dann ist es Rubinowitz. Übrigens war er auf der Blake-Konferenz einer der wenigen, die bereit gewesen wären, mit auf die Insel zu gehen. Genauso wie Kranich.“
„Aha . . .“
„Vertrau mir. Ich habe so ein Gefühl, als ob wir kurz vor der Lösung stehen.“
„Wenn sie uns nicht vorher umlegen.“
„Sie wissen nicht, wo wir sind. Und unseren Treffpunkt mit Rubinowitz kennen sie sowieso nicht. Weder Zeit noch Ort.“
„Wie kannst du da so sicher sein?“
„Weil ich Zeit und Ort selbst noch nicht kenne. Ich habe nur eine Telefonnummer, alles andere vereinbaren wir später.“
Ein lautes, hysterisches Kläffen bewirkte, dass Troller und Jane gleichzeitig den Kopf umdrehten. Sie sahen ein älteres Ehepaar, beide weit über sechzig, das offenbar gerade den Bahnsteig betreten hatte. Der Mann zog zwei Koffer hinter sich her, die Frau einen kleinen Hund, einen Beagle oder so was. Schwarz, Schlappohren, böses Gesicht. Der Hund kläffte wie wild und wehrte sich mit allen Kräften dagegen, weiter auf den Bahnsteig zu kommen. Die Frau musste ihn wie einen Schlitten hinter sich herziehen.
„Nimm ihn doch auf den Arm“, rief der Mann. „Er will doch nur auf den Arm genommen werden.“
„Er will nicht mitfahren“, sagte die Frau. „Er hat sich schon zu Hause so komisch benommen. Vielleicht hat er eine Vorahnung.“
„Nimm ihn auf den Arm und hör auf, uns vor aller Welt zu
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