Gottes Gehirn
„Meinen Sie den, der die Köpfe verpflanzt?“
„Natürlich, wen denn sonst?“
„Halten sie es eigentlich für möglich, dass dieser White . . .“
„Das habe ich mich auch gefragt“, sagte Lansky, und seine Lässigkeit war auf einmal wie weggeblasen. „Er behauptet ja tatsächlich, er könne Hirne transplantieren. Aber ich halte ihn für einen bloßen Wichtigtuer. Deswegen hat er sich jetzt auch wieder zu Wort gemeldet. Er ist wahrscheinlich immer noch gekränkt, weil er damals nicht dabei sein durfte.“
„Damals?“
„Auf der Blake-Konferenz.“
„Er wollte dabei sein?“
„Natürlich, der will überall dabei sein.“
„Und warum war er nicht dabei?“
„Weil Blake ihn nicht eingeladen hatte.“
„Halten Sie es für möglich, dass er noch immer Rachegefühle hegt?“
„Ich halte bei dem alles für möglich. Er ist ein Verrückter.“ Lansky grinste und steckte die Hände wieder in die hinteren Hosentaschen.
„Ich habe vor ein paar Tagen einen Anruf von Kranich bekommen“, sagte Troller. „Er sagte, er wüsste etwas über Eklunds Verschwinden. Aber bevor er es mir erzählen konnte, wurde er umgebracht.“
„Kranich?“, sagte Lansky und schaute auf die Uhr. „Na ja.“ Es klang wie: Der hat sowieso zu lange gelebt.
„Stimmt es, dass Sie auf der Konferenz mit Ihren Elektrozangen auf ihn losgegangen sind?“, fragte Jane.
Lansky erstarrte. Er schaute Jane an, dann Troller, dann wieder Jane und fing an zu zittern. Sein ganzer Körper vibrierte, als bekäme er einen epileptischen Anfall. „Wer zum Teufel hat Ihnen das erzählt?“, schrie er.
„Sie sollen ihn sogar angespuckt haben“, sagte Jane ungerührt. „Wer?“, schrie Lansky außer sich. „Wer war es?“
„Kranich“, sagte Troller und erhob beide Arme. „Aber er hat’s nicht ihr erzählt. Er hat’s mir erzählt.“ Das war gelogen, aber irgendeine Stimme sagte ihm, es wäre vielleicht besser, Blake in diesem Zusammenhang nicht zu erwähnen. Kranich war tot. Der konnte viel gesagt haben.
„Also Kranich“, sagte Lansky erleichtert. „Na, dann.“ Er entfernte sich für einen Augenblick von Troller und Jane, nahm ein Stofftier in die Hand und brabbelte unverständliches Zeug vor sich hin. Dann kam er zurück, grinste verschämt und sagte: „Es war Stillschweigen vereinbart worden. Über alles, was auf der Konferenz geschah.“
„Eklund ist tot“, sagte Troller, „Kranich ist tot . . .“
„Und gestern“, ergänzte Jane, „haben wir erfahren, dass Jeffrey Freeman bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Sein Körper ist total verbrannt.“
„Jeffrey? Er ist tot?“
Jane nickte.
„Der alte Jeffrey also auch.“ Der Tod dieses Kollegen schien ihn nun doch zu berühren. Er sah auf einmal einsam und hilflos aus. „Wissen Sie“, sagte er leise, „was ich an ihm besonders geschätzt habe? Nicht seinen ökonomischen Verstand, der war mir egal, aber er baute wunderbare Modelle. Wirklich, wunderbar.“
„Modelle?“
„Von Häusern, Gebäuden, Brücken, Fabriken. Er entwarf sie – skurrile Sachen, völlig verrückt – und baute sie im Kleinformat. Er hatte eigentlich Architekt werden wollen, aber irgendwie hat es ihn dann in die Ökonomie verschlagen. Geht ja vielen so. Kriegen den Nobelpreis für etwas, das sie eigentlich gar nicht machen wollten. Warten Sie . . .“, er legte die Fingerspitzen beider Hände an die Schläfen und verharrte so. Ein, zwei, drei Sekunden stand er regungslos da. Dann ließ er auf einmal die Arme sinken, drehte sich um und ging zielstrebig auf ein Regal zu. Er schob zwei Marmeladengläser beiseite und holte etwas hervor. „Sehen Sie“, rief er begeistert aus, „sehen Sie doch nur, das ist sein Haus. Darin hat er gewohnt. Ist es nicht phantastisch?“
Verblüfft starrten Troller und Jane auf das Modell eines seltsamen Gebäudes, das wie eine Mischung aus orientalischer Moschee, christlicher Kirche und Atomkraftwerk aussah. Kuppeln, Türme, neogotische Verzierungen, Zuckerbäckerstuck. Es war schon seltsam genug, dass jemand das Modell eines solchen Gebäudes baute, aber dass der für seinen analytischen Verstand berühmte Ökonom Jeffrey Freeman wirklich in so einem Kitschtempel gewohnt haben sollte . . .
„Sieht nicht gerade ökonomisch aus“, sagte Jane.
„Es war Kunst, Spiel, L’art pour l’art. Und nun ist er also tot, der alte Jeffrey. Schade“, sagte Lansky traurig, „ich wurde gerne noch einmal mit ihm plaudern. Und sehen Sie“, fügte er hinzu, indem er sich wieder auf
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