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Gottes Gehirn

Gottes Gehirn

Titel: Gottes Gehirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Johler , Olaf-Axel Burow
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1227?“, sagte Jane. „Aber der war doch wirklich süß.“
Sie sagte das so schwärmerisch, dass Troller beinahe eifersüchtig wurde.
Der Zug rollte gleichmäßig dahin. In anderthalb Stunden würden sie in New York sein. Troller hatte das Algonquin Hotel gebucht, nur ein paar Blocks vom Central Park entfernt. Er hatte schon einige Male dort gewohnt. Es hatte zwar relativ kleine, enge Zimmer, atmete aber mit seinen alten Plüschmöbeln Jahrhundertwendeflair. Damals war es der Stammplatz des Round Table gewesen, eines Treffs bedeutender Literaten. Noch mehr aber freute Troller sich auf einen nächtlichen Besuch des Blue Note, des Jazzclubs, der in Greenwich Village lag.
Die Sonne verschwand in einem fahlen Gelb hinter den niedrigen Gebäuden an der Westseite des Washington Square. Von hier aus waren es nur noch wenige Minuten zum Blue Note. Troller genoss den Spaziergang nach der langen Bahnfahrt. Trotz aller Aufregungen fühlte er sich hier ausnehmend gut.
Der Washington Square war ein kleiner Park, eine Insel inmitten des tosenden Verkehrs, auf dem sich die schrägsten Typen verschiedenster Nationen präsentierten. Studenten der um die Ecke liegenden New York University saßen auf den Parkbänken und kauten Fastfood, Pärchen lagen eng umschlungen auf den Rasenflächen. Typen mit Rasta-Locken liefen hier ebenso herum wie nuttig aussehende Models. Alte Männer saßen in T-Shirts da und spielten Schach. Wieso war das Licht so merkwürdig? Lag das am Sommersmog? Typen im Wallstreet-Outfit eilten durch den Park. Bettler kramten in den Papierkörben. Es war eine ausgefallene Mischung. Und doch fühlte Troller sich hier als Großstädter heimisch. Mit den Leuten hier verband ihn mehr als mit den Bewohnern irgendeiner kleinen oder mittleren Stadt in Deutschland.
„Dieser Schuppen ist also der berühmteste Jazzclub der Welt“, sagte Jane, als sie das Blue Note betraten.
Troller fand auch, dass der Club reichlich unscheinbar wirkte. Eine winzige Bühne, um die herum enge Tischchen gruppiert waren, an denen man Hamburger mit Pommes Frites oder Ceasar’s Salad zur Musik der Jazz-Größen verzehren konnte. Ärgerlich war, dass es zwei Vorstellungen gab. Nach zwei Stunden musste die erste Publikumsschicht das Lokal verlassen, und die Band spielte vor einem neuen Publikum noch einmal. Alles etwas ernüchternd. Mehr Kommerz als Alternativkultur, deren Inbegriff der Jazz doch einmal gewesen war. Doch im Vergleich zu Rockveranstaltungen mit ihren gigantischen Lightshows, ihren faszinierenden Effekten, ihren Soundtürmen wirkte diese Szene schon wieder rührend antiquiert.
Als er erfahren hatte, dass heute John McLaughlin spielen würde, hatte Troller sich riesig darauf gefreut. Jane dagegen war weniger begeistert gewesen.
„Wer ist denn das?“, hatte sie gefragt.
„Du musst ja nicht mitkommen“, hatte Troller gesagt, aber Jane hatte es dann doch besser gefunden, zusammenzubleiben.
John McLaughlin wurde von einem Schlagzeuger und einem Bassisten begleitet. Sie begannen mit einem schnellen Stück – Frevo Rasgado – ohne besondere Höhepunkte, sauberer, gut gespielter Jazz. Im Grunde genommen Gedudel, dachte Troller. Das zweite Stück begann mit einem Gitarrenintro – aber kaum hatte McLaughlin ein paar Takte gespielt, unterbrach er sich auch schon und wechselte ein paar irritierte Blicke mit dem Drummer und dem Bassisten. Die Melodie hatte merkwürdig dissonant geklungen. McLaughlin setzte erneut an, doch die Tonfolge war unverändert. Wirklich eine merkwürdige Melodie.
Sie hatte etwas magisch Anziehendes und Befremdendes zugleich. Sie klang wie aus einer anderen Welt. McLaughlin unterbrach wieder und begann an seiner Gitarre herumzustimmen. Immer wieder schüttelte er den Kopf. Er schien vollkommen ratlos zu sein. Dann zuckte er mit den Achseln und setzte völlig überraschend zu einem furiosen Solo an. Mit einer unglaublichen Geschwindigkeit jagten seine Finger die Bünde rauf und runter. Komplizierteste Akkorde wechselten sich mit halsbrecherischen Läufen ab, die schließlich in vollendeten Harmonien ausklangen. Die Gäste, die fast alle in Trollers Alter waren, begannen auf ihren Stühlen hin und her zu rutschen, stampften mit den Füßen, klopften mit den Händen den Takt und klatschten nach besonders gelungenen Passagen Beifall. Es war, als verschmelze der ganze Club zu einer einzigen Bewegung, als waren alle Anwesenden Bestandteil einer mächtigen Welle, auf deren Kamm John McLaughlin ritt.
    Troller war völlig

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