Gottes Gehirn
ganzen Zeit lief der Fernseher weiter. Ab und zu warf Troller einen Blick darauf. Der Ton war immer noch leise gestellt, kaum hörbar.
Plötzlich erregte ein Bild seine Aufmerksamkeit. Das war doch – ja, das war Lanskys Haus! Troller machte ein paar Schritte auf den Fernseher zu. Über den Bildschirm lief jetzt eine Schriftzeile:
+ + + Mord am MIT: Begründer der künstlichen Intelligenz enthauptet + + + Mord am MIT: Begründer der . . .
Troller nahm die Fernbedienung und stellte den Ton lauter. Jetzt war Lanskys Wohnhalle zu sehen. Die Kamera fuhr auf einen Mann zu, der auf einem Stuhl saß. Der Mann trug eine braune Hose und ein Hawaiihemd, aber mit seinem Kopf stimmte etwas nicht. Die Kamera fuhr näher heran. Jetzt sah man es ganz deutlich. Der Mann hatte keinen Kopf. Auf seinem Rumpf steckte ein würfelförmiges Etwas mit zwei leblosen roten Augen. Es war der Kopf von Z 1227.
JACKSON
„Invitro-Fertilisation“, sagte Jackson, der hinter einem mächtigen Mahagonischreibtisch Platz genommen hatte, „damit fing alles an.“ Troller und Jane waren zwei Minuten zu früh in Jacksons Vorzimmer gekommen, und die Sekretärin hatte sie gebeten, noch ein paar Augenblicke zu warten. Um auf die Sekunde genau zehn Uhr war die Tür aufgegangen, und Jackson hatte sie hereingebeten. Er sah genauso aus, wie Troller ihn sich vorgestellt hatte. Hochgewachsen, mit geradem Rückgrat, gerader Nase, schmalen Lippen, gepflegtem Schnurrbart und sauber gescheiteltem Haar, eine durch und durch aristokratische Erscheinung. Gekleidet in einen graublauen Anzug, der todsicher ein paar tausend Dollar gekostet hatte, Cerruti oder Brioni oder weiß der Teufel was.
Troller fühlte sich in seiner Kombination aus Jeans und Sakko mit einem Male nicht mehr wohl. Sein Verstand sagte ihm, dass er sich vor ein paar Minuten noch ganz in Ordnung gefühlt hatte und dass er gar nicht den Ehrgeiz hätte, so perfekt gekleidet zu sein wie Jackson, aber das half nichts, er fühlte sich ungepflegt, ja schlunzig, als sähe er sich mit Jacksons Augen. Ob Jane ihn jetzt auch so sah?
Sie selbst hatte sich wieder perfekt vorbereitet. Als Troller vorhin versucht hatte sie anzurufen, war sie gerade auf der Fifth Avenue gewesen, um etwas Passendes zu finden. Und wirklich: Jacksons Blick ruhte mit spürbarer Anerkennung auf ihrem Jil-Sander-Anzug.
Das Fazit-Heft, das Troller ihm zur Begrüßung in die Hand gedrückt hatte, lag jetzt auf einem peinlich genau parallel zu den Schreibtischkanten ausgerichteten Stapel aus wissenschaftlichen Zeitschriften.
Auf der anderen Seite des Schreibtisches stand ein Modell der Doppel-Helix. Jackson saß kerzengerade da, seine schmalen Hände ruhten auf dem polierten Holz, die schlanken Finger berührten sich an den Fingerspitzen.
„Es geschah am 25. Juli 1978“, fuhr er fort. „Das war der Tag, an dem im Hospital der englischen Stadt Oldham Louise Joy Brown zur Welt kam, das erste Menschenkind, das außerhalb des Mutterleibs gezeugt worden war.“
„Wie ging das vor sich?“, fragte Jane.
„Nun“, sagte Jackson. „Der Gynäkologe Patrick Steptoe hatte neun Monate zuvor eine einzelne Eizelle aus dem Eierstock von Lesley Brown, also der Mutter, entnommen und sie in ein kleines Plastikgefäß mit Kulturflüssigkeit gelegt. Dem kleinen Tropfen Kulturflüssigkeit wurde daraufhin Sperma von John Brown, dem Vater, hinzugefügt, und Steptoes Kollege Robert Edwards beobachtete nun unter dem Mikroskop den Augenblick der Befruchtung. Das befruchtete Ei durfte sich dreimal teilen, dann wurde es in Mrs. Browns Gebärmutter eingepflanzt. Neun Monate später war es dann so weit.“
„Retortenbaby nannte man es damals“, sagte Troller. „Ich nehme an, dass inzwischen eine halbe Million solcher Retortenbabys das Licht der Welt erblickt haben.“
„Richtig“, sagte Jackson. „Die Sache ist fast schon ein alter Hut. So wie die Quantentheorie ein alter Hut ist. Oder die Relativitätstheorie, das Internet oder die Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Alles alte Hüte, die mit einer solchen Geschwindigkeit die Welt verändern, dass ich mich manchmal wundere, wie gelassen die Menschheit das alles hinnimmt. Nun, jedenfalls haben Edwards und Steptoe mit ihrer ersten menschlichen Invitro-Fertilisation das Zeitalter der Reprogenetik eingeläutet. Das war schon ein einzigartiger Augenblick.“
Erstaunlich, dachte Troller, dass er als Molekularbiologe und Gentechniker nicht den beiden anderen die Krone überreicht hat, Watson und
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