Gottes kleiner Finger - [Thriller]
ganz zurückgegangen, und die Fliegenmaden hatten seinen Arm verlassen, nachdem sie das verfaulte, nekrotische Fleisch und den gelben Eiter aufgefressen hatten. Lauri war immer noch schwach, aber er spürte schon, wie seine Kräfte zurückkehrten.
Manchmal hörten sie in der Ferne Schüsse und Schreie, und immer wieder überflog eine einsame Cessna oder ein Hubschrauber die Felsen. Nachts stiegen Leuchtraketen am Himmel auf, manchmal verursachte eine Rakete eine kleine Panik, in deren Folge Hunderte anderer, roter oder weißer Leuchtgeschosse zum Himmel aufstiegen. Für einen Augenblick erleuchteten sie die sonderbare Mischung von Sandstein und Lavabasalt, dann erloschen sie wie Schneeflocken auf dem Asphalt.
Kein einziges Mal kamen ihnen die Stimmen der sie suchenden Leute so nahe, dass sie Grund zur Sorge hätten haben müssen. Aber sicherheitshalber sprachen sie leise und flüsternd, besonders in der Nacht.
»Allmählich kriege ich etwas Hunger«, bemerkte Khadidja am vierten Tag.
»Hast du nicht gesagt, dass ein Teda drei Tage lang mit einer Dattel auskommt?«, erinnerte sich Lauri.
Er kramte aus seiner Tasche ein kleines Päckchen aus Zeitungspapier hervor und rollte es auf. Dann reichte er Khadidja die einzige Dattel, die er sorgfältig aufbewahrt hatte.
»Hier hast du eine.«
Khadidja grinste.
»Das war jetzt wirklich etwas boshaft. Findest du, dass wir Teda etwas zu viel prahlen?«
»Vielleicht ein bisschen. Aber ... als wir hierherkamen, meinte ich etwas sehr Merkwürdiges zu sehen. In der Bergwand hing eine riesige Ruinenstadt. Oder so etwas wie eine Festung!«
Khadidja sah Lauri in eigentümlicher Weise an.
»Du hattest Halluzinationen. In der Wüste bildet man sich leicht alles Mögliche ein. Zumal, wenn man hohes Fieber hat.«
»Meinst du?«
»Glaub mir, hier gibt es nichts Derartiges.«
Vielleicht habe ich es mir wirklich nur eingebildet, dachte Lauri. Oder handelt es sich um ein sorgfältig gehütetes Geheimnis der Teda? Handelte es sich um die alte, geheime Festungsstadt von Garamantes, deren Lage oder Existenz Khadidja nicht preisgeben will?
In Afrika gab es eine gewaltige Menge Ruinen, von denen die offizielle Geschichtsschreibung nichts wusste aus dem einfachen Grund, dass niemand sich jemals die Mühe gemacht hatte, sie zu erforschen.
Lauri erinnerte sich, wie er einmal mit Alice in Nigeria den Komplex von Sungbon Eredo und Old Benin City, das alte Benin, besucht hatte. Sungbon Eredo war etwa ebenso groß wie Groß-London, eine tausendfünfhundert Jahre alte Ruinenstadt, die von einem aus Erde gebauten Wall umgeben war, so hoch wie ein achtstöckiges Haus. Ihren Namen Sungbon Eredo, also Sungbon Erdwall, hatte sie nach einer legendären Königin bekommen, die einst über die Stadt geherrscht hatte.
In Kubikmetern gemessen war Sungbon Eredo das drittgrößte von Menschenhand errichtete Bauwerk der Welt. An zweiter Stelle lag die chinesische Mauer und an erster das ebenfalls in Nigeria gelegene Alte Benin, zu dem eine gewaltige Menge kleinerer, in komplizierter Weise miteinander verbundener Rundwälle gehörte. Die Wälle des Alten Benin umschlossen insgesamt ein Gebiet von sechseinhalbtausend Quadratkilometern.
Sungbon Eredo lag nur eine Stunde Fahrt von Lagos entfernt, trotzdem war es erstaunlich wenig erforscht und in der Welt nahezu unbekannt. Die Zehntausende anderer, kleinerer Randwälle Westafrikas waren noch nicht einmal in Form von Satellitenbildern ordentlich kartografiert.
Offiziell war es weiterhin ein großes Rätsel, warum all diese Wälle seinerzeit gebaut worden waren. Alice hatte jedoch geglaubt, dass sie als Schutz vor Elefanten dienten. Sie hatte gesagt, dass, als es in Afrika noch zwanzig Millionen Elefanten gab, zur Trockenzeit sicherlich gewaltige Elefantenherden vom Binnenland zur Küste wanderten. Ihrer Ansicht nach hatten die hohen Rundwälle von Sungbon Eredo und dem Alten Benin die Elefanten schlicht und einfach daran gehindert, die landwirtschaftlichen Kulturen zu zertrampeln. Alice hatte gesagt, Sungbon Eredo habe zu seiner Blütezeit einer der schönsten Wohnorte der Welt sein müssen.
»Stell dir doch mal vor«, hatte Lauri wieder Alice’ Stimme im Ohr, »wäre es nicht fantastisch, auf einem acht Stockwerke hohen Erdwall zu stehen und zuzusehen, wie Millionen von Elefanten den Niger entlang nach Süden wandern?«
Ja, dachte Lauri. Das wäre in der Tat nicht übel.
»Bist du verheiratet?«, fragte Khadidja plötzlich. »Oder hast du eine Frau,
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