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Gottes kleiner Finger - [Thriller]

Gottes kleiner Finger - [Thriller]

Titel: Gottes kleiner Finger - [Thriller] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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und wozu nicht? Wir sind nur Staub und Asche.«
    Azhrawi erhob sich, trat zur Zelttür und wandte sich Lauri und Abu Hassan zu.
    »Kommt«, forderte er sie auf.
    Lauri und Abu Hassan folgten ihm. Die Frau in Schwarz blieb sitzen. Azhrawi betrachtete die Wüste, die sich vor ihnen erstreckte.
    »Heute sind wir arm. Viele von uns leben im Elend. Auch in den Ländern, die Geld für Öl bekommen, sind nur wenige reich. Seinerzeit blickte die ganze Welt voller Bewunderung auf den Reichtum und den Glanz des Islams. Wir waren allen anderen voraus, unsere Medizin, die Astronomie und unsere Mathematik waren einst dem Westen um tausend Jahre voraus. Unsere Weisen verstanden tausend Jahre früher als der Westen, dass der Erdball uralt und nicht nur sechstausend Jahre alt ist. Die unterdrückten und verfolgten Menschen flohen aus Europa zu uns, in die Sicherheit.«
    Azhrawi seufzte.
    »Jetzt blickt die Welt nicht mehr zu uns auf. Unsere Armut erregt Mitleid. Warum? Was ist geschehen? Irgendwann ist etwas schiefgegangen! Aber was?«
    »Das ist eine sehr gute Frage«, murmelte Abu Hassan leise und ehrerbietig.
    »Manche wie al-Zarqawi, al-Suri, al-Masri und Konsorten sagen, der Westen sei selbst der große Satan oder zumindest dessen kleiner Finger. Sie sagen, wir sollten im Jahr 2016 einen großen apokalyptischen Krieg beginnen, in dem Kernwaffen eingesetzt und Anschläge gegen Kernkraftwerke verübt werden und in dem sechs Milliarden Menschen sterben. Sie behaupten, der Islam werde automatisch wieder in seinem früheren Glanz auferstehen, wenn wir nur alle Amerikaner und Europäer töten, auch alle anderen Christen und natürlich auch alle Hindubastarde und Chinesen. Und wenn wir danach alle modernen Erfindungen vergessen und ins Mittelalter zurückkehren.«
    Azhrawi sah Lauri und Abu Hassan an.
    »Aber wie soll der Islam zu neuer Blüte erstehen, indem er zum Mittelalter zurückkehrt? Sollten wir nicht eher den anderen um tausend Jahre voraus sein, anstatt der übrigen Welt freiwillig tausend Jahre hinterherzuhinken?«
    Verzweiflung und Ärger zeichneten sich auf Azhrawis Gesicht ab.
    »Vielleicht sind wir deshalb zurückgeblieben, weil der Boden unter uns ausgetrocknet ist. Weil das Oberflächenwasser versiegte und das Brunnenwasser sich in die Tiefe zurückzog. Fast alle islamischen Länder liegen in Gebieten, wo das so war. Abgesehen von Bangladesch, Indonesien und Malaysien.«
    Azhrawi betrachtete die von der Sonne versengte, staubtrockene Landschaft ringsum.
    »Vielleicht ist der Wassermangel unser wirkliches Problem, und nicht so sehr die Verkommenheit und der Materialismus des Westens. Vielleicht ist die Wasserknappheit das Problem, für das wir eine Lösung finden müssen. Vielleicht sind al-Zarqawi und seine Gesinnungsgenossen einfach im Unrecht. Vielleicht dienen sie dem Satan und wollen aus den Muslimen Satans kleinen Finger machen.«
    Azhrawi drehte sich um und sah Lauri an.
    »Vielleicht soll es nicht sein, dass wir euch und die Hindubastarde töten. Vielleicht sollen wir euch im Gegenteil retten. Sodass aus dem Islam wieder das Licht der Welt und die Hoffnung der Menschen wird. Das Licht der Lichter.«
    Ein warmherziges Lächeln erhellte das gefurchte Gesicht des alten Mannes.
    »Geht und baut euren Sonnenturm.«

23
    »Ich glaube, du hast auf Azhrawi einigen Eindruck gemacht«, murmelte Abu Hassan, als sie an diesem Abend in der Wüste auf ihrem Campingkocher Tee bereiteten. »Dir ist ja wohl klar, was für eine seltene Höflichkeit es war, dass er uns mit Kamelfleisch bewirtet hat?«
    »Ich hab es geahnt«, versetzte Lauri. »Aber ich erwäge ernsthaft, Vegetarier zu werden. Zum Glück hatte ich noch nicht damit angefangen.«
    Abu Hassan schien entsetzt.
    »Lauri, der Mensch lebt nicht von Gras allein, und wenn er sich noch so sehr bemüht.«
    »Es gibt ja auch noch anderes Gemüse.«
    »Na ja, wenn du nun ausschließlich von Bohnen leben willst.«
    »Abu Hassan, alle Leichtathleten, die bei den modernen Olympiaden neun Goldmedaillen gewonnen haben, waren Vegetarier, zumindest während des Trainings.«
    »Hm, ich habe eigentlich nicht vor, an einer Olympiade teilzunehmen«, brummelte Abu Hassan. »Aber iss du nur Gras, wenn du willst, ich möchte auch ordentliches Essen. Ich bin kein Kamel.«
    Es war schon ganz dunkel und überraschend kühl. Ein großartiger Sternenhimmel leuchtete über ihnen. Nur ein einsamer, über den Himmel ziehender Satellit störte dessen feierliche Ruhe.
    Für den Fall eines Angriffs

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