Gottes kleiner Finger - [Thriller]
müssen. Ich habe es nicht getan, weil jemand mich im entscheidenden Augenblick besuchen kam. Aber es wäre richtig gewesen. Wenn ich also jetzt hier sterbe, dann ist es gut so. Es gibt jedoch keinen Grund, warum ...«
»Ich finde, wir könnten auch mal von etwas ganz anderem sprechen«, sagte Khadidja. »Diese Angelegenheit ist sozusagen abschließend behandelt.«
»Aber warum?«, fragte Lauri noch. Khadidja schüttelte ungeduldig den Kopf.
»Verstehst du es wirklich nicht?«
»Nein«, sagte Lauri wahrheitsgemäß. »Ich verstehe es wirklich nicht. »Wenn du hier bei mir bleibst, ist dein Opfer vollkommen sinnlos!«
»Ich bin einfach in einer bestimmten Weise erzogen worden«, sagte Khadidja schlicht. »Und um ganz ehrlich zu sein, kränkt es mich wirklich ein bisschen, dass du in dieser Angelegenheit ebenso wenig Verständnis aufbringst wie alle anderen Westler. Du begreifst nicht, wie wütend mich das macht. Ich meine die Tatsache, dass ihr niemals glaubt, dass solche Dinge uns etwas bedeuten. Dass man manchmal einfach schwierige Dinge tun muss. Nur deswegen, weil sie richtig sind. Weil es sich gehört, so zu handeln. Wenn ihr das eines Tages versteht, brauchen wir nicht mehr mit Waffengewalt gegeneinander zu kämpfen. Zumindest nicht sehr oft.«
Also okay, dachte Lauri. Aber er wollte nicht daran denken, was gleich geschehen würde. Er wollte nicht sehen, wie die Kugeln ihrer Verfolger bald Khadidjas schöne schwarzbraune Haut durchschlagen würden. Wie die schrecklichen, von den Kugeln geschlagenen Wunden ihr die Kraft aus den Gliedern ziehen und ihr die Lunge und das Herz zerreißen würden. Er wollte nicht sehen, wie Khadidja gleich, Blut hustend, sterben würde. Der Gedanke erschien ihm unerträglich. Meinen eigenen Tod werde ich leicht ertragen, dachte er. Aber ich möchte niemanden mitnehmen.
»Niemand kann wissen, welcher ein sinnloser Tod ist und welcher nicht«, sagte Khadidja philosophisch. »Das zu entscheiden ist Aufgabe späterer Generationen. Außerdem ist es jetzt schon zu spät.«
Lauri schaute in die Richtung, in die Khadidja zeigte, sah jedoch nichts.
»Auch meine Eltern starben in der Wüste«, erzählte Khadidja. »Mein Vater verbrachte viel Zeit im Stein, und meine Mutter machte großen Eindruck auf ihn. Sie heirateten. Obwohl die Eltern meines Vaters heftig protestierten, kümmerte er sich nicht darum, er sah nichts anderes als meine Mutter und konnte an nichts anderes denken als an sie.«
Der schnurgerade Horizont veränderte sich, er wurde unklar und vage. Er warf Blasen.
»Er nannte meine Mutter immer Wüstenwind«, erzählte Khadidja mit weicher, schwärmerischer Stimme. »Dann starben sie in der Wüste, und Azhrawi nahm mich in seine Obhut.«
Die kleinen Blasen am Horizont wuchsen und stiegen höher. Lauri verstand endgültig, dass Khadidja recht gehabt hatte und es keine Hoffnung mehr gab. Auch Khadidja würde nicht mehr fliehen können. Ihr Streit war sozusagen akademisch geworden.
Denn der ganze Horizont war jetzt voller niedriger, heller Staubsäulen. Es gab sie in einem weiten Sektor von mindestens hundertzwanzig Grad. Das alles waren sicherlich Motorfahrzeuge oder ganze Fahrzeuggruppen. Einen Augenblick später tauchte hinter den Sandsteinbergen auch ein einzelnes, in geringer Höhe über der Wüste kreisendes Flugzeug auf.
»Das ist ja eine ganze Armee«, rief Khadidja aus. »Aber sie kommen direkt auf uns zu. Wie können sie unseren Standort so genau wissen?«
Ja, das ist zweifellos seltsam, dachte Lauri. Dann fluchte er laut. Khadidja sah ihn fragend an.
»Sie haben irgendwoher ein Satellitenbild bekommen«, brach es aus Lauri heraus. »Deshalb sind sie so gut auf unserer Spur geblieben. Aber wie zum Teufel ...«
Khadidja legte den Finger auf die Lippen und brachte ihn zum Verstummen.
»Das spielt ja jetzt wohl keine große Rolle mehr, nicht wahr?«
Ja, dachte Lauri Nurmi finster. Das spielt jetzt wohl wirklich keine große Rolle mehr.
Da erhob sich aus der Mitte der Hunderte von Staubwolken plötzlich und ohne Vorwarnung auch eine ferne, schwarze, pilzförmige Wolke.
»Was ist das denn?«, stieß Lauri überrascht aus.
In der Wüste hatte es offensichtlich eine Art Explosion gegeben. Aber warum? Die erste Erklärung, die Lauri in den Sinn kam, war, dass eines der Autos ihrer Verfolger in eine Schlucht gefahren war. Aber das Kiesfeld vor ihnen war völlig eben und platt. Wie hätte ein Auto in die Schlucht fahren können, wenn es keine Schluchten gab?
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