Gottes kleiner Finger - [Thriller]
verwundert. »Hier?«
Khadidja ließ sich in den Sand hinabgleiten und ging zu der runden, an einen Brunnen erinnernden Anlage. Lauri sah, wie sie mit der Hand über deren Ränder strich, so als streichelte sie den uralten Zement mit den Fingern.
»Hier befand sich einst tausend Jahre lang ein großes Reich«, sagte Khadidja. »Garamantes.«
Ja, natürlich, dachte Lauri. Auf den Namen Garamantes war er schon viele Male gestoßen. Kern von Garamantes war der Fessan gewesen, aber zu seiner besten Zeit hatte es über ein Gebiet geherrscht, das viel größer war als Europa und sich vom Niger bis zum Nil und vom Mittelmeer bis zum Tschadsee erstreckte.
»Wir Teda sind wahrscheinlich Nachkommen der Einwohner von Garamantes«, erklärte Khadidja. »Wir haben ja sehr dunkle Haut, so wie auch sie.«
Lauri beschirmte sich mit der Hand die Augen. Die Reihe der immer kleiner werdenden runden Gebilde setzte sich anscheinend schnurgerade fort, ohne dass ein Ende zu sehen war. Die Anlage war erstaunlich groß.
Lauri erinnerte sich, gelesen zu haben, dass die Kriegswagen von Garamantes besser gewesen waren als die römischen und dass Garamantes auch mehr Kriegselefanten gehabt hatte. Außerdem bot die Sahara einen natürlichen Schutz vor den Römern. Dann – war das nun neunzehn Jahre vor Christus gewesen? – hatte der römische Prokonsul Lucius Cornelius Balbus es endlich geschafft, durch die Sahara ausreichend Wasser, Nahrungsmittel, Futter, Pferde und Männer zu transportieren und die Armee von Garamantes in der großen Schlacht von Garama oder Germa zu besiegen.
»Als Garamantes den Krieg gegen Rom verloren hatte, zogen sich unsere Vorväter in die große Festung des Steins zurück«, erklärte Khadidja, so als hätte sie Lauris Gedanken gelesen. »Uns dorthin zu folgen wagten die Römer nicht.«
Auch Lauri stieg vom Kamel. Er nahm aus der Satteltasche die Feldflasche und setzte sich damit auf die Schattenseite des nächsten runden Zementturms. Khadidja setzte sich neben ihn auf den Sand und las kleine Steine auf. Dann warf sie sie einen nach dem anderen zu Boden, sodass sie gegeneinanderprallten und über den Sand kullerten.
»Garamantes war die große Leidenschaft meines Vaters«, erzählte Khadidja. »Fast eine Zwangsvorstellung.«
Lauri setzte die Feldflasche an die Lippen und trank gierig. Trotz der kühlenden Wirkung des Wassers spürte er, wie seine Wangen glühten und wie ihn der Kopf schmerzte.
Ein neuer Sandsturm fiel über sie her, nur eine Stunde, nachdem sie sich wieder auf den Weg gemacht hatten. Es war jedoch kein solcher Sandsturm wie der Shahali, der wie eine hohe Wand über die ganze Welt herfiel und der am Vortag zumindest einen Teil ihrer Verfolger unter sich begraben hatte.
Der Sturm begann fast unmerklich. Ein leichter Windhauch wischte über die Wüste und rührte hier und dort aus dem Sand feine Staubwirbel auf. Khadidja stieg sofort von ihrem Kamel und fasste es bei den Zügeln. Dann band sie sich wieder das Tuch um das Gesicht, sodass Mund und Nase bedeckt waren.
»Ein Sandsturm«, sagte Khadidja.
»Meinst du?«, fragte Lauri verwundert. »Schon wieder? So bald?«
Seine Stimme klang müde und breiig. Khadidja sah, dass es ihm schwerfiel, sich aufrecht auf dem Kamel zu halten.
»Glaub mir. Aber du siehst jetzt, ehrlich gesagt, nicht sehr gut aus.«
Lauri stieg mühsam ab. Es fehlte nicht viel, und er wäre gestürzt. Khadidja trat zu ihm und berührte mit der Hand seine Stirn. Sie war glühend heiß.
»Du hast hohes Fieber«, sagte Khadidja. »Wir sollten uns deinen Arm noch einmal ansehen.«
»Mir geht es ganz gut«, stammelte Lauri.
»Warum hast du nichts gesagt?«, fragte Khadidja vorwurfsvoll.
»Was hätte das genützt?«, knurrte Lauri.
Ein neuer Windstoß fegte über das Sandmeer. Die Oberfläche der Wüste begann zu rauchen. Die Sandwüste war plötzlich von einem feinen Staubstrom bedeckt, den der Wind mit sich führte. Als er stärker wurde, stiegen höhere Wirbel von Staub und feinem Sand auf wie Minitornados. Ihre Zahl nahm rasch zu. Einen Augenblick später waren sie überall.
»Wir können jetzt nichts machen«, rief Khadidja. »Du musst einfach versuchen, auch diesen Sturm zu überstehen.«
»Kein Problem«, erwiderte Lauri tapfer. »Ich komme schon klar.«
Aber seine Stimme war nichts als ein Pfeifen, und Khadidja wirkte noch besorgter.
»Wir müssen in Bewegung bleiben«, sagte sie. »Aber wir gehen langsam voran. Schritt für Schritt.«
Die Wirbel glitten
Weitere Kostenlose Bücher