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Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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»Woher wollen Sie wissen, dass Julika das Telefonat freiwillig geführt hat?«
    Süden holte ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus der Jackentasche.
    »Julika hat uns ein Fax geschickt«, sagte er. »Es ist ihre Handschrift und ihre Unterschrift, und der Polizeigrafologe schließt aus, dass diese Zeilen unter Androhung von Gewalt geschrieben wurden.« Er reichte ihr das Blatt.
    »Würden Sie uns das vorlesen?«, fragte Nicole Sorek.
    »Es ist eine Kopie des Faxes«, sagte Süden. »Sie können sie behalten.«
    »Stopp!«, rief sie.
    Sogar ihre Sommersprossen schienen sich zornesrot zu färben.
    »Herr Süden, wenn Sie…« Sie brach die Tirade vorzeitig ab und las den Brief.
    »Sie haben die Adresse des Absenders geschwärzt!«
    »Natürlich«, sagte er.
    »Es geht ihr also gut… gut… dann hat unser Beitrag ja doch etwas bewirkt… gut… Ich möchte gern mit Ihnen über Vermisstenfälle im Allgemeinen sprechen, ein paar Hintergründe Ihrer Arbeit, über den Mann, der nur mal zum Zigarettenholen geht…«
    »Den habe ich noch nicht getroffen«, sagte Süden. Er antwortete auf alle möglichen Fragen, er nannte die Gründe, warum Leute verschwanden – Abenteuerlust, Streunen, Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, in der Familie, Furcht vor Strafe oder Schande, Selbstmordabsicht, Hilflosigkeit -, er erklärte, wie schwierig es oft sei, die wahren Gründe für ein Verschwinden herauszufinden, weil die Familie sich Vorwürfe machte und den Vermissten und sich selbst in kein schlechtes Licht rücken wollte. Er jonglierte mit ein paar Abkürzungen, die er dann auf Wunsch der Reporterin erläuterte. Er spülte, wie Sonja Feyerabend sich ausgedrückt hätte, Lebenszeit in den Gully und erhielt dafür von der Deutschen Fernsehpreisträgerin Nicole Sorek ein Lob.
    »Möge es nützen«, sagte er zu seinem Bierglas in dem Lokal, in dem er in jüngster Zeit häufig saß und bis zum Morgen blieb.
    Der Wirt spielte Shantys auf der Ziehharmonika, und das Essen war gut und heiß, auch nachts um halb zwei. Hier rief ihn Sonja an, nachdem ein Obdachloser die beiden Kinder aus Neuperlach gefunden hatte, in der Nacht zum zwölften Februar, neun Tage, nachdem Julika de Vries verschwunden war.
    Bei strömendem Regen hatte der Mann in einem Container nach Lebensmitteln gesucht und in dem nassen, klebrigen Berg von Abfalltüten, Obstresten und Hausmüll eine kleine kalte Hand zu fassen gekriegt und sofort an einen Leichnam gedacht. Er rannte zum nächsten Haus und klingelte Sturm, und weil niemand öffnete – es war ein Uhr nachts -, gelang es ihm erst fünfzehn Minuten später, eine Frau über die Sprechanlage aufzufordern, die Polizei zu alarmieren. Danach wartete er in der Nähe des Containers unter dem Dach eines Kiosks. Die Polizisten leuchteten mit Taschenlampen in den grauen Behälter, vergaßen, als sie ein Röcheln hörten, Sicherheitshandschuhe anzuziehen, und griffen in die schmierige Tiefe. Kurz darauf zogen sie einen kleinen Jungen und ein kleines Mädchen, über und über schmutzig und vor Kälte und Nässe schlotternd, aus dem Müll. In der Zwischenzeit trafen Karl Funkel, Volker Thon, Sonja Feyerabend und zwei weitere Mitglieder der Soko Neuperlach in der Baumkirchnerstraße ein, erleichtert, die vermissten Kinder am Leben zu sehen.
    Sie seien jede Nacht ein Stück weiter gelaufen, sagten Sara und Manuel, sie hätten sich in Containern oder großen Mülltonnen versteckt, der Gestank und der Dreck seien ihnen egal gewesen, Hauptsache, sie konnten zusammenbleiben, für immer, sie seien nämlich ein Liebespaar, und ihre Mütter würden ihnen verbieten sich zu treffen. Manuel behauptete, sie hätten sogar schon zusammen geschlafen, was sich aber in den Vernehmungen als Lüge herausstellte, obwohl Sara die Aussage zunächst bestätigt hatte. Manuel meinte schließlich, er habe nur von einem Wunsch gesprochen, und Sara sagte, er habe ihr nicht wehgetan, im Gegenteil, er sei der sanfteste Junge der ganzen Welt.
    Seltsam war, dass der Container, in dem sich die beiden Kinder in der Nacht zum zwölften Februar versteckt hatten, nicht weit von dem Haus in der Kreillerstraße entfernt war, in dem Wolf de Vries sein Modegeschäft hatte.
    »Nur ein Zufall«, sagte Sonja beim Frühstück. Gemeinsam mit Süden saß sie in einem Café in der Nähe des Dezernats, es war acht Uhr morgens, und sie hatte keine Minute geschlafen. Niemand aus der Sonderkommission war nach Hause gegangen, sie arbeiteten gemeinsam den Abschlussbericht aus und

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