Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
ja.«
    Hernach, auf dem Weg zum Dezernat, hatte er alle Fragen vergessen. Entgegen den Vereinbarungen hatte Nicole Sorek abrupt Julikas Vater ins Gespräch mit einbezogen, der die Arbeit der Polizei kritisierte. Süden schwieg in die Kamera, daran erinnerte er sich, als er die Augustenstraße in Richtung Hauptbahnhof ging, es hatte ein geradezu cineastisches Schweigen geherrscht, wie in den finnischen Filmen, die er mit Martin oft im Kino gesehen hatte.
    Sein Schweigen schnitten sie heraus. In dem Bericht, der kurz nach dreizehn Uhr an diesem Dienstag ausgestrahlt wurde, kam Süden mit drei knappen Sätzen zu Wort, was nicht gerade den Eindruck eines unter Hochdruck arbeitenden Polizeiapparates vermittelte. Er sah die Sendung im Dezernat, gemeinsam mit den Kollegen von der Soko Neuperlach, über deren Fahndung nach den beiden Kindern Nicole Sorek ebenfalls berichtete.
    »Haben die dich nicht geschminkt?«, fragte Volker Thon.
    »Nein«, sagte Süden.
    »Das sieht man.«
    Eine halbe Stunde später klingelte das Telefon auf Südens Schreibtisch.
    »Hier ist Julika de Vries«, sagte eine Stimme. Süden drückte einen Knopf auf der Anlage. »Ich möcht Ihnen sagen, dass es mir gut geht, ich bin freiwillig hier, niemand hat mich entführt, und ich werd auch nicht bedroht oder so was. Sagen Sie das meinen Eltern…«
    »Wo sind Sie, Julika?«, fragte Süden.
    Sonja Feyerabend, die ihm gegenübersaß, unterbrach ihre Arbeit.
    »Ich bin, wo ich bin«, sagte Julika. »Und ich werd nicht zurückkommen.«
    »Sie müssen mit Ihren Eltern sprechen, Julika.«
    »Nein«, sagte sie. »Warum haben Sie das gemacht, mit dem Fernsehen, warum wollen Sie, dass das ganze Land hinter mir her ist? Ich kann jetzt nirgends mehr hingehen, jeder kennt mich jetzt, warum haben Sie das gemacht?«
    »So viele Menschen sehen die Sendung auch wieder nicht«, sagte Süden. Es war eine armselige Entschuldigung. Er sagte:
    »Morgen wird dieses Magazin eine Erklärung bringen, dass Sie sich gemeldet haben und alles in Ordnung ist, niemand braucht mehr bei der Suche mitzuhelfen.«
    »Die Leute werden mich trotzdem überall anschauen.«
    Er hörte ihren Atem, im Hintergrund Straßengeräusche, sie telefonierte von ihrem Handy aus.
    »Er hat genau gewusst, was er damit anrichtet«, sagte sie. »Ich bin noch nicht drei Tage weg, und er geht zum Fernsehen, er wartet nicht mal, was die Polizei macht, er schickt gleich das Fernsehen hinter mir her. Wieso haben Sie das nicht verhindert?«
    »Ich konnte es nicht verhindern«, sagte Süden. Nicht einmal Sonjas Nähe änderte etwas daran, dass er sich vorkam wie angespuckt.
    »Doch konnten Sie das verhindern!«, sagte Julika.
    »Nein«, wagte er zu sagen.
    »Doch!«, sagte sie. Er sagte nichts.
    »Doch!«, sagte sie. Dann war die Verbindung tot. Süden legte den Hörer neben den Apparat und kreuzte die Hände flach auf dem Tisch.
    Er rief bei Julikas Eltern an. Ihr Vater war am Apparat, und Süden verlangte Margit de Vries zu sprechen. Er berichtete ihr von Julikas Nachricht und fragte nach der Handynummer. Als Wolf de Vries seiner Frau den Hörer aus der Hand nahm, legte Süden auf. Auf Julikas Mailbox hinterließ er eine Bitte. Am Mittag des nächsten Tages fuhr er ins Studio des Magazins »Vor Ort« und gab Nicole Sorek ein Interview.
    »Julika de Vries ist wohlauf«, sagte er. »Sie ist volljährig, sie hat das Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit, sie kann selbst bestimmen, was sie tun und wo sie leben möchte. Es besteht keine Gefahr für Leib und Leben. Julika hat nicht die Absicht sich umzubringen, sie ist in keine Strafsache verwickelt, dort, wo sie sich aufhält, kann sie sich frei bewegen. Für uns im Dezernat 11 handelt es sich beim Verschwinden von Julika de Vries um keine offizielle Vermissung mehr.«
    »Sie wissen also, wo sich die junge Frau aufhält«, sagte Nicole Sorek.
    »Im Moment, ja«, sagte Süden.
    »Und Sie sind davon überzeugt, dass sie sich nicht in Gefahr befindet.«
    »Ja.«
    »Woher wollen Sie wissen, dass sie das Telefongespräch mit Ihnen nicht unter Bedrohung für… Leib und Leben, wie Sie sich ausgedrückt haben, geführt hat? Woher wollen Sie das hundertprozentig wissen?«
    »Ich weiß es.«
    »Ist Julika überhaupt schon als volljährig zu betrachten? Sie geht noch zur Schule, sie lebt bei ihren Eltern.«
    »Wir können sie nicht zwingen zurückzukommen.«
    »Warum nicht?« Süden schwieg.
    Weil dieses Schweigen die Reporterin wütend machte, fragte sie noch einmal:

Weitere Kostenlose Bücher