Gottes Tochter
Rathaus, ich bin ausgebildete Sekretärin. Und du? Was machst du?«
»Ich bin noch in der Schule«, sagte Julika.
»Ach so. Entschuldige, da hab ich dich jetzt älter geschätzt.«
»Ich bin achtzehn.«
»Ich dreiundzwanzig.«
Leute drängelten sich an ihnen vorbei und rempelten sie an. Aus dem Bauch des Schiffes drang das Wummern von Bässen. Einer der Laderäume diente als Saal, in dem ab und zu Rockkonzerte stattfanden. Hinter Julika an der Reling klebte ein verwaschenes Ankündigungsplakat.
»Willst du auch mal eine Familie?«, fragte Annalena. Julika zuckte mit der Schulter.
»Ich möcht zwei Kinder«, sagte Annalena. »Juri auch. Wir ziehen raus aus der Stadt, auf dem Land ist es besser für die Kinder, das ist eine hübsche Gegend hier, warst du schon öfter hier?«
»Ich bin das zweite Mal hier…«
»He, Ale!« Der junge Mann von vorhin beugte sich wieder über das Geländer.
»Gleich, Steffen, ich komm gleich.«
Jetzt fiel Julika ein, wo sie Steffen schon einmal begegnet war, im »Eisenhans«, wo sie getanzt hatten… Und gestern hatte Rico von ihm gesprochen.
»Wir sehen uns bestimmt später noch«, sagte Annalena und zog die Jacke fester um die Schultern.
»Du frierst«, sagte Julika.
»Mir ist heut schon den ganzen Tag kalt«, sagte Annalena. »Ich hab gedacht, vom Sekt wirds besser, ist aber nicht so.«
»Kennst du Juri schon lange?« Julika wollte, dass die junge Frau noch eine Weile bei ihr blieb.
»Seit der Schule«, sagte Annalena. »Wir haben schon viel gemeinsam erlebt, schon ganz viel, ich kenn den Juri gut.«
»Und du liebst ihn.«
Annalena sah sie an, mit einem Ausdruck von Verwunderung.
»Ja, klar! Und er mich auch.«
Julika trank. Das Bier schmeckte ihr nicht. Um sie herum redeten laut die Gäste, die meisten schienen sich zu kennen, viele kauten, während sie sich unterhielten, und hatten Sandwiches in der Hand. Unten war ein Büfett aufgebaut, mit belegten Broten, selbst gemachten Salaten, Würsten, Gurken und Tomaten.
»Und wann werdet ihr heiraten?«, fragte Julika.
»Im Mai«, sagte Annalena. »Am zwölften Mai, das ist mein Geburtstag. Du darfst auch kommen, wenn du willst. Ich lade dich hiermit ein.«
»Danke«, sagte Julika.
»Wo ist denn dein Rico?«
Julika hatte schon nach ihm Ausschau gehalten. Vermutlich war er bei Juri. Die beiden hatten sich nach der Begrüßung ununterbrochen umarmt, und Rico hatte ihr ein Zeichen gegeben, auf ihn zu warten. Von Juri war sie mehr oder weniger ignoriert worden. Was Rico ihr in der vergangenen Nacht über die Ereignisse im Sonnenblumenhaus berichtet hatte und über die Rolle, die er und Juri und ein paar andere dabei gespielt hatten, fand sie mysteriös, doch ihre Versuche mehr zu erfahren, waren an Ricos Schweigen gescheitert. Eine Stimme fegte zwischen ihr und Annalena hindurch.
»Jetzt mach, dass du nach oben kommst! Das ist deine Verlobungsfeier! Geh endlich!«
Steffen packte Annalena am Arm und stieß sie in Richtung Treppe. Sie klammerte sich, umringt von Leuten, ans Geländer. Als sie den Fuß auf die erste Stufe setzte, schlug ihr Steffen auf den Hintern.
»Spitzenkleid, Ale!«
Er drehte sich zu Julika um und ließ seine Flasche gegen die ihre krachen.
»Prost, Mädel! Hab dich heut im Fernsehen gesehen. In echt siehst du noch schärfer aus!«
Sie hatte die Sendung auch gesehen, gemeinsam mit Rico, der sich freigenommen hatte, um am Nachmittag auf die Verlobungsfeier gehen zu können. Dieser Kommissar hatte von ihrem Fax erzählt und sogar behauptet, er wisse nicht, wo sie sich aufhalte. Dabei stand auf dem Fax die Nummer der Bibliothek, die er nur hätte anzurufen brauchen. Was er nicht getan hatte, wie sie von Marlen wusste. Und er hatte gesagt, man könne sie nicht zwingen zurückzukommen. Das war wahr. Niemand konnte sie zwingen, nun wussten es alle, ein Polizist hatte es öffentlich erklärt, die Leute konnten sie angaffen, solange sie wollten.
»Komm tanzen!«, sagte Steffen und packte sie am Arm. Sie schüttelte seine Hand ab.
»Finger weg!«, sagte sie.
»Zart besaitet, das ist gefährlich, hier gehts härter zu als bei euch!«
»Wo ist hier?«, fragte sie.
»Hier ist hier«, sagte er.
Julika fiel auf, dass seine Pupillen starr wirkten. Wenn er in eine andere Richtung schaute, bewegte er jedes Mal den Kopf, nicht nur die Augen.
»Warst du dabei, als das Sonnenblumenhaus gebrannt hat?«, fragte Julika.
»Was?«, schrie er. Einige Leute, die um sie herumstanden, hörten zu. »Hat Rico dir das
Weitere Kostenlose Bücher