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Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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traute ihnen gemeine Dinge zu.
    »So ein Skelett bringt den Seeleuten Glück«, sagte Annalena.
    »Du darfst dich nicht erschrecken.« In Julikas Ohren klang dieser Satz wie eine Beschwörungsformel. Du darfst dich nicht erschrecken. Du darfst dich nicht erschrecken. Als sei es verboten erschrocken zu sein.
    »Musst du nicht zurück zu deinem Verlobten?«, sagte Julika.
    »Der hat jetzt keine Zeit, die spielen bestimmt schon.«
    »Was spielen die denn?«
    »Wirst du schon sehen«, sagte Annalena. »Das haben die schon als Kinder gemacht, um die Mädchen zu schocken. Und um sich was zu beweisen, weißt du. Ich glaub, ich möcht jetzt auch ein Bier.«
    »Trink meins aus«, sagte Julika und hielt ihr die Flasche hin.
    »Danke, das ist aber nett von dir.« Sie trank und lächelte, und Julika hatte den Eindruck, dass sie noch erschöpfter aussah als vorher. »Jetzt, wo wir uns schon ein bisschen kennen, verrat ich dir was.« Sie senkte die Stimme, und Julika hatte Mühe, sie bei der Lautstärke der Musik zu verstehen. »Eigentlich ist das Fest hier nicht wegen der Verlobung. Das schon auch. Aber das Wichtigste ist, dass Juri seine Meisterprüfung geschafft hat. Das ist toll, er ist ja erst vierundzwanzig, das ist eine totale Ausnahme. Sein jetziger Chef hat da bei der Kammer nachgeholfen, glaub ich, der ist krank, der muss die Werkstatt bald übergeben, und Juri ist der Beste. Der kann mit Autos umgehen wie Ärzte mit Menschen. Gute Ärzte, weißt du, Professoren und so Leute, weißt du. Und so eine Verlobung muss man ja nicht groß feiern, oder? Wir haben ja auch keine Ringe, das kostet alles bloß Geld, und wir wissen ja, dass wir bald heiraten. Am zwölften Mai, hab ich das schon gesagt? An meinem Geburtstag, das wird schön. Da gehen wir ins ›Neptun-Hotel‹, das steht direkt am Strand, direkt am Meer, vom Restaurant aus kannst du bis zum Horizont schauen, bis nach Dänemark. Ich weiß nicht, ob das stimmt, immer wenn ich dort bin, ist schlechtes Wetter, blöde. Aber an unserer Hochzeit ist bestimmt schönes Wetter. Und wenn nicht…«
    Mitten im Satz drehte sie sich zur Bar um. »Gib uns bitte zwei Bier. Danke.« Eine Flasche reichte sie Julika.
    »Nachschub muss sein. Bitte.«
    »Ich mag eigentlich keins mehr.«
    »Zum Anstoßen.« Sie hob die Flasche. »Auf dich und Rico und dass das schön wird mit euch und ganz lang.«
    »Danke«, sagte Julika. »Und dir alles Glück für deine Hochzeit.«
    »Danke, das ist gut, dass wir uns getroffen haben.«
    Ja, wollte Julika sagen, aber sie kam nicht dazu. Jemand riss ihr die Flasche aus der Hand.
    »Komm nach oben, da gibts was zu staunen!«, rief Steffen und trank aus ihrer Flasche. Er hielt sie ihr wieder hin, aber sie nahm sie nicht.
    »Ja, komm!«, sagte Annalena. »Da wirst du echt staunen.« Sie schob Julika sanft zur Treppe.
    Auf Deck, an der Stelle, an der das Skelett gehangen hatte, baumelte Rico an einem Seil, den Kopf gebeugt, die Augen geschlossen, und seine Arme hingen schlaff herunter.
    Vor Schreck bekam Julika keine Luft. Dann, nach Sekunden vollkommener Erstarrung, während sie in einem Kreis von Leuten stand, die ebenfalls den reglosen Körper betrachteten, stieß sie einen Schrei aus. Sie schrie so laut, dass sich einige Frauen die Ohren zuhielten.
    Julika hatte vergessen, wo der Steg zum Pier war. Sie stieß jeden zur Seite, der ihr in den Weg kam. Sie tastete sich am nassen Eisengeländer entlang, Meter um Meter, in irgendeine Richtung. Schließlich erreichte sie den Steg, auf dem Gäste hockten, die zu betrunken waren, um zu verstehen, was passierte. Julika stieg über ihre Schultern, trampelte jemandem auf die Hand. Sie schrie immer lauter.
    Auf dem Asphalt spritzte das Wasser unter ihren Schritten. Zwischen den Schienen eines großen Krans standen Pfützen. Julika rannte durch sie hindurch, Wasser schwappte in ihre Schuhe, sie bemerkte es nicht. Jemand rief ihren Namen, sie hörte nicht hin. Eine Gruppe neuer Gäste mit Weinflaschen unter dem Arm kam ihr entgegen, sie sah sie nicht und rannte in sie hinein.
    »Hoppala«, sagte einer.
    »Ist doch nur ein Spiel!«
    Und wieder schrie sie nicht: Nein. Sie kniete auf dem regennassen Boden, das graue schwere Wasser der Unterwarnow schlug gegen die Planken der Schiffe, und das schreckliche Bild verschwand nicht. Als wäre es auf die Netzhaut ihrer Augen gelasert worden. Vor der weißen Wand baumelt ein lebloser Körper. Ricos lebloser Körper. Er ist tot. Er hat sich erhängt, und sie weiß nicht, wieso.

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