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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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(die nie beantwortet wurden) hinsichtlich bestimmter Angaben, die in Homers letztem Brief fehlten (»Was ist genau los mit Mr. Worthington?«), und mit einer Flut von Einzelheiten über die täglichen Unbilden in St. Cloud’s. Sosehr Dr. Larch auch Snowy Meadows klatschsüchtigen Sinn für das »Kontakthalten« mit dem Waisenhaus verabscheute, lieferte er Homer Wells doch jeweils praktisch einen Ehemaligen-Rundbrief mitsamt Chronik aus dem Spital- und dem geselligen Leben. Seine Briefe an Homer Wells waren länger als seine längsten Eintragungen in Eine kurze Geschichte von St. Cloud’s und wurden geschrieben und zur Post getragen, einen Tag nachdem auch nur das kleinste Gekritzel von Homer bei Dr. Larch eingetroffen war.
    »Sie dürfen von dem Jungen nicht erwarten, daß er mit Ihnen Schritt hält, Wilbur«, ermahnte Schwester Edna Dr. Larch.
    »Sie dürfen nicht von ihm erwarten, daß er sich mit Ihnen mißt«, sagte Schwester Angela.
    »Was zum Teufel fehlt diesem Senior Worthington?« fragte Dr. Larch.
    »Homer hat gemeint, es sei ein Alkoholproblem, Wilbur«, erinnerte ihn Schwester Edna.
    »Was wollen Sie wissen – die Marke des Fusels?« fragte Schwester Angela.
    Aber Wilbur Larch erwartete von seinem jungen Lehrling doch nur, was er ihm, wie er meinte, beigebracht hatte: klinische Analyse, die exakte Definition der Kennzeichen für leichtes, mittleres und schweres Trinken. Sprechen wir über einen Burschen, der sich auf Partys zum Narren macht?, fragte sich Wilbur Larch. Oder ist es etwas Ernstes und Chronisches?
    Weil Homer Wells noch nie einen Trinker gesehen hatte, ließ er sich – anfangs – durch Senior Worthingtons Auftreten ähnlich täuschen wie Seniors engster Familien- und Freundeskreis; und ähnlich wie sie nahm auch Homer den Verfall von Seniors geistigen Kräften bereitwillig als natürliche Folge des Alkoholismus hin. Einst ein Mann, der in Heart’s Rock und Heart’s Haven seit jeher bewundert worden war, insbesondere für sein herzliches Wesen, war Senior heftig geworden, reizbar und manchmal sogar aggressiv. Nach dem Zwischenfall mit der Grasshopper-Pastete wollte ihn Olive nicht mehr allein in den Haven-Club lassen: Senior hatte eine ganze Grasshopper-Torte einem netten jungen Bademeister an die Brust geklatscht, und dann mußte man ihn daran hindern, die blaßgrünen Ingredienzen weiter über den Hintern einer netten jungen Kellnerin zu verschmieren. »Er hat sich aufgespielt«, sagte Senior über den Bademeister. »Er stand einfach nur da«, erläuterte er.
    »Und die Kellnerin?« fragte Olive. Senior schien verwirrt und fing an zu weinen.
    »Ich hab sie mit jemand verwechselt«, sagte er matt. Olive hatte ihn nach Hause gebracht; Wally hatte das mit der Kellnerin wieder ausgebügelt, und Candy hatte den Bademeister bezirzt und beschwichtigt.
    Senior verirrte sich, wenn er woandershin fuhr als an altvertraute Stellen; Olive ließ ihn nie den Wagen nehmen, wenn nicht Wally oder Homer mit ihm fuhren. Schließlich verirrte er sich, wenn er versuchte, altvertraute Stellen zu erreichen; Homer mußte ihn von Ray Kendalls Hummerbassin nach Ocean View zurückbringen – selbst Homer, der das Netz aus kleinen Straßen zur Küste und zurück nicht gut kannte, merkte, wann Senior eine falsche Abzweigung genommen hatte.
    Bei jedem komplizierteren Handgriff am Motor machte Senior verheerende Fehler. Als er den Vergaser des Cadillac putzte – eine einfache Arbeit, die Ray Kendall ihm viele Male vorgemacht hatte – verschmutzte er die Schläuche mit Gas und kleinen Kohlepartikeln (er saugte am Schlauch, statt hineinzublasen).
    Seniors Kurzzeitgedächtnis war so schwer beeinträchtigt, daß er eine Stunde lang in seinem eigenen Schlafzimmer umherwanderte und es nicht fertigbrachte, sich anzuziehen; dauernd verwechselte er seine Sockenschublade mit der Schublade für Olives Unterwäsche. Eines Morgens wurde er so wütend über seinen Mißgriff, daß er am Frühstückstisch auftauchte, beide Füße fest umwickelt mit je einem Büstenhalter. Normalerweise freundlich zu Homer und zärtlich im Umgang mit Wally und Olive, beschuldigte er Wally lauthals – er, sein eigener Sohn, trüge die Socken seines Vaters, die er sich unerlaubt genommen hatte – und tobte gegen Olive, sie habe sein Domizil in ein Findelheim verwandelt, ohne ihn dafür um Erlaubnis zu fragen.
    »Du wärest besser aufgehoben in St. Cloud’s als in diesem Diebesnest«, sagte er zu Homer.
    Kaum war es ihm entfahren, brach Senior

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