Gottes Werk und Teufels Beitrag
»einem Beinah-Ertrinken, zum Beispiel« –, die müßte Homer seiner Ansicht nach schon eher zu vermeiden suchen.
Alles Lügen! dachte Larch, aber dennoch gab er den Brief an Mrs. Worthington zur Post, und Olive konnte feststellen, daß Homer sehr schnell schwimmen lernte. »Er war wohl ganz knapp davor, es zu kapieren, als ich dich ablöste«, sagte sie zu Candy; in Wahrheit aber lernte Homer bei Olive schneller, weil der Unterricht selbst nicht so vergnüglich war.
Bei Candy hätte er womöglich nie schwimmen gelernt; wenigstens hätte er es hinausschieben und die Übungsstunden über den Rest des Sommers ausdehnen können.
Homer Wells hätte diesen Sommer über den Rest seines Lebens ausdehnen wollen, wenn er gekonnt hätte. So vieles gab es in seinem Leben in Ocean View, was ihn glücklich machte.
Er schämte sich nicht dafür, daß er den von Wand zu Wand gespannten Teppichboden der Worthingtons liebte; dort, woher er kam, gab es nackte Holzwände und viele Schichten Linoleum, zwischen denen man das Sägemehl unter den Füßen rieseln fühlte. Man konnte nicht behaupten, daß große Kunst an den Wänden der Worthingtons gehangen hätte, doch Homer hatte noch nie Bilder an Wänden gesehen (abgesehen von dem Porträt der Pony-Frau); auch der vollendete Kitsch von Ölgemälde mit der Katze im Blumenbeet (in Wallys Schlafzimmer) gefiel ihm – und sogar die Blumenbeettapete hinter dem Bild. Was wußte er schon von Kunst oder Tapeten? Er fand jede Tapete wunderbar.
Nie, glaubte er, würde er aufhören können, Wallys Zimmer zu lieben. Was wußte er schon von College-Diplomen und Footballs, die in flüssiges Gold getaucht und mit der Trefferzahl eines wichtigen Spiels graviert wurden? Und von Tennistrophäen und alten Jahrbüchern und von in den Rahmen des Spiegels gesteckten, abgerissenen Billetts (vom ersten Kino, zu dem Wally Candy eingeladen hatte)? Was wußte er schon vom Kino? Wally und Candy nahmen ihn mit ins erste Autokino von Maine. Wie hätte er sich so etwas vorstellen können? Und was wußte er schon von Menschen, die jeden Tag zusammenkamen und miteinander arbeiteten, offenbar aus freien Stücken? Seine Kollegen in Ocean View waren für Homer Wells ein Wunder; anfangs liebte er sie alle. Meany Hyde liebte er am meisten, weil Meany so freundlich war und so viel Freude fand am Erklären, wie alles gemacht wurde – sogar Dinge, bei denen Homer – oder jeder andere – sehen konnte, wie sie gemacht wurden, auch ohne Erklärung. Doch Homer hörte Meany besonders gern zu, wenn er das Offenkundige erklärte.
Er liebte Florence, Meany Hydes Frau, und die anderen Frauen, die den Sommer damit verbrachten, den Apfelmarkt und das Ciderhaus für die Ernte vorzubereiten. Er liebte die dicke Dot Taft, auch wenn das wabbelige Fleisch an ihren Oberarmen ihn an Melony erinnerte (an die er nie dachte, auch nicht, als er erfuhr, daß sie St. Cloud’s verlassen hatte). Er mochte Debra Pettigrew, Big Dot Tafts kleine Schwester, die so alt war wie er und hübsch, auch wenn ihre Molligkeit irgendwie kompakt wirkte und vermuten ließ, daß sie die Veranlagung hatte, eines Tages so dick zu werden wie die dicke Dot.
Big Dots Ehemann, Everett Taft, zeigte Homer alles über das Mähen. Man mähte die Reihen zwischen den Bäumen zweimal im Sommer; dann harkte und wendete man die Reihen; dann band man das Heu zu Ballen und verkaufte es an die Milchfarm in Kenneth Corners. Das lose Heu wurde zum Mulchen rund um die jüngeren Bäume verwendet. In Ocean View gab es für alles eine Verwendung.
Homer mochte Ira Titcomb, den Bienenhalter und Ehemann jener Irene vom wundersamen Brandmal: Ira seinerseits erklärte Homer alles über die Bienen. »Sie mögen es bei mindestens 13 Grad, kein Wind, kein Hagel, kein Frost«, sagte Ira. »Eine Biene lebt ungefähr dreißig Tage und leistet mehr als manche Männer in ihrem ganzen Leben – ohne daß ich hier jetzt Namen nennen möchte. Aller Honig«, sagte Ira Titcomb, »ist Treibstoff für die Bienen.«
Homer lernte, daß Bienen den Löwenzahn lieber mögen als Apfelblüten, weshalb man den Löwenzahn abmähte, kurz bevor die Bienen in den Obstgarten kamen. Er lernte, warum es in einem Obstgarten mehr als eine Baumsorte geben mußte, wegen der Kreuzbestäubung – die Bienen sollten den Blütenstaub von einer Baumsorte zur anderen tragen. Er lernte, daß man die Bienenstöcke am besten nachts hinaus in den Obstgarten brachte; in der Nacht schliefen die Bienen, und man konnte die kleine
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