Gottes Werk und Teufels Beitrag
Worthington in Tränen aus und bat Homer um Verzeihung; er legte den Kopf an Homers Schulter und weinte. »Mein Gehirn sendet Gift in mein Herz«, sagte er zu Homer, der es seltsam fand, daß Senior vor dem Spätnachmittag nicht zu trinken schien und doch beinah jederzeit betrunken wirkte.
Zuweilen kam es vor, daß Senior drei Tage nichts trank, wobei ein Teil von ihm immerhin noch merkte, daß seine Verdrehtheit nicht weniger heftig gedieh. Dennoch vergaß Senior, seine Beobachtung Olive oder sonst jemandem mitzuteilen, bis er schwach wurde und einen Drink zu sich nahm. Als ihm dann einfiel, zu sagen, daß er nicht getrunken hatte, war er betrunken. Warum vergesse ich alles, fragte er sich und vergaß es.
Sein Langzeitgedächtnis war jedoch ziemlich intakt. Er sang Olive College-Lieder vor (auf deren Verse sie sich nicht besinnen konnte) und rief ihr sentimental die romantischen Abende ihrer Verlobungszeit ins Gedächtnis; er erzählte seinem Sohn Geschichten über Wally als Baby; er unterhielt Homer, indem er fröhlich vom Anpflanzen irgendwelcher älterer Obstbaumgärten erzählte, einschließlich des einsamen Obstgartens, von dem aus das Meer sichtbar war.
»Dort wollte ich damals eigentlich das Haus bauen, Homer«, sagte Senior. Es war Mittagspause. Wally und Homer waren beim Ausgeilen im Obstgarten: beim Ausschneiden der inneren Äste eines Baumes oder aller neu sprießenden Zweige (oder »geilen« Triebe), die sich nach innen wandten, statt sich aufwärts zur Sonne zu recken. Wally hatte die Geschichte schon gehört; er war abgelenkt; er goß Coca-Cola auf einen Ameisenhügel. Das Ausgeilen setzt so viele Zweige wie möglich dem Licht aus; es läßt das Licht durch den Baum einfallen.
»Man läßt einen Apfelbaum nicht wachsen, wie er will«, hatte Wally Homer erklärt.
»Wie einen Sohn!« hatte Senior lachend gebrüllt.
»Olive fand es hier zu windig für ein Haus«, sagte Senior zu Homer. »Frauen fühlen sich mehr durch den Wind belästigt als Männer«, vertraute Senior ihm an. »Das ist eine Tatsache. Jedenfalls …« Er machte eine Pause. Er gestikulierte gegen das Meer, als sei es ein weit entferntes Publikum, das er durch seine ausholende Handbewegung einbeziehen wollte. Er wandte sich an die Apfelbäume in der Runde … Sie waren ein etwas stilleres Publikum und schenkten ihm mehr Aufmerksamkeit. »Der Wind …«, fing er an und machte abermals eine Pause, vielleicht in der Erwartung, daß der Wind etwas beisteuere. »Das Haus …«, fing er an.
»Du kannst diesen Obstgarten vom ersten Stock unseres Hauses sehen. Wußtest du das?« fragte er Homer.
»Richtig«, sagte Homer. Wallys Zimmer war im ersten Stock. Aus Wallys Fenster konnte er den Obstgarten mit dem Blick aufs Meer erkennen. Aber das Meer selbst war von Wallys Fenster aus – wie von jedem anderen Fenster des Hauses auch – nicht zu sehen.
»Ich nannte den ganzen Ort Ocean View«, erklärte Senior, »weil ich mir dachte, daß hier das Haus sein würde. Genau hier«, wiederholte er. Er blickte auf das schäumende Coca-Cola, das Wally langsam auf den Ameisenhügel goß.
»Man nimmt Gifthafer und Giftmais, um die Mäuse zu töten«, sagte Senior. »Es stinkt.« Wally sah zu ihm auf; Homer nickte. »Man streut das Zeug aus für die Feldmäuse, aber um die Fichtenmäuse zu erwischen, muß man die Löcher suchen und es in die Gänge schütten«, sagte er.
»Das wissen wir, Pop«, sagte Wally sanft.
»Feldmäuse sind dasselbe wie Wiesenmäuse«, erläuterte Senior Homer, der das nicht zum erstenmal hörte.
»Richtig«, sagte Homer.
»Wiesenmäuse ringeln einen Baum, und Fichtenmäuse fressen die Wurzeln an«, rezitierte Senior aus seiner fernen Erinnerung.
Wally hörte auf, Coke auf den Ameisenhügel zu gießen. Er und Homer wußten nicht, warum Senior über die Mittagspause zu ihnen gestoßen war; sie hatten den ganzen Vormittag im Ocean-Obstgarten ausgegeilt, und Senior war eben dazugekommen. Er fuhr den alten Jeep, der keine Nummernschilder hatte und ausschließlich zum Herumfahren in den Obstgärten benutzt wurde.
»Pop?« fragte Wally. »Was machst du hier draußen?«
Senior starrte seinen Sohn ausdruckslos an. Er schaute Homer an; er hoffte, Homer könne ihm die Antwort sagen. Er betrachtete sein Publikum – die Apfelbäume, den weit entfernten Ozean.
»Hier wollte ich das Haus bauen, genau hier«, sagte er zu Wally. »Aber deine herrschsüchtige Hexe von einer Allesnach-ihrem-Kopf-Mutter ließ mich nicht – sie ließ
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