Gottes Werk und Teufels Beitrag
Haus begab.
Er rollte eine der Matratzen auf und streckte sich darauf aus das Kopfkissen und die Decke unter seinen Kopf geschoben. Irgend etwas verlockte ihn, die Decke und das Kissen zu beschnuppern, aber er konnte nichts anderes feststellen als das Aroma von Essig und einen Geruch, den er einfach als alt einstufte. Decke und Kissen fühlten sich menschlicher an als sie rochen, doch je tiefer er sein Gesicht in sie vergrub, desto menschlicher wurde ihr Geruch. Er dachte an die Anspannung in Louise Tobeys Gesicht, und wie sich ihr Finger in diesem Gummi gereckt hatte, und wie ihr Fingernagel ausgesehen hatte, bereit, ihn aufzuschlitzen. Er erinnerte sich an die Matratze in der Sägewerkerhütte in St. Cloud’s, wo Melony ihn eingeführt hatte in das Gefühl, das ihn jetzt überkam. Er faßte in seine Arbeitshose, holte ihn hervor und masturbierte rasch. Die Sprungfedern des alten Eisenbettes quietschten schrill. Etwas in seinem Blick schien klarer jetzt, nachdem er fertig war.
Als er sich aufrichtete auf dem Bett, entdeckte er den anderen Körper, der sich die Freiheit genommen hatte, im Ciderhaus auszuruhen. Obwohl ihr Körper so eng zusammengekauert war – wie die Möwe im Regen oder wie ein Fötus oder wie eine Frau mit Krämpfen –, erkannte Homer Grace Lynch doch unschwer wieder.
Selbst wenn sie ihn nicht beobachtet hätte, selbst wenn sie sich nicht in seine Richtung umgedreht hätte, den Rhythmus der alten Bettfedern konnte sie nicht mißverstanden haben – oder gar, so dachte Homer, den wahrnehmbar scharfen Duft des in seiner hohlen Hand aufgefangenen Samens. Er ging leise nach draußen und hielt die Hand in den Regen. Die Seemöwe hockte immer noch auf dem Dach des Ciderhauses und bekundete ein plötzliches Interesse für ihn – gab es doch eine lange Geschichte erfolgreicher Nahrungssuche in Zusammenhang mit diesem Ort. Als Homer ins Ciderhaus zurückkehrte, sah er, daß Grace Lynch ihre Matratze aufgeräumt hatte, wie sie gewesen war, und jetzt am Fenster stand, ihr Gesicht in die Gardine gepreßt. Er mußte zweimal hinsehen, um sie zu sehen; wenn er nicht gewußt hätte, daß sie sich im Raum befand, hätte er sie nicht da stehen sehen.
»Ich war dort«, sagte Grace Lynch leise, ohne Homer anzusehen. »Wo du herkommst«, erklärte sie. »Ich war dort – ich weiß nicht, wie du auch nur eine Nacht Schlaf gefunden hast.«
Ihre Magerkeit war scharf, ja sogar gestochen scharf in dem bißchen toten grauen Licht, das dieser Regentag durch das Fenster warf; sie zog den ausgeblichenen Vorhang wie einen Schal um ihre schmalen Schultern. Sie schaute Homer Wells nicht an, und nichts in ihrer zerbrechlichen, zitternden Haltung hätte man als Verlockung deuten können, und trotzdem fühlte sich Homer zu ihr hingezogen – so wie wir uns besonders bei trübem Wetter nach etwas Vertrautem sehnen. Jedes Kind von St. Cloud’s war den Anblick von Opfern gewohnt, und Grace strahlte, stärker als reflektierendes Sonnenlicht, eine Opferhaltung aus. Homer fühlte einen so widersprüchlichen Glanz von ihr ausgehen, daß er zu ihr treten und ihre schlaffen, feuchten Hände festhalten mußte.
»Komisch«, flüsterte sie, immer noch ohne ihn anzusehen. »Es war so fürchterlich dort, aber ich habe mich wirklich sicher gefühlt.« Sie legte ihre Hand auf seine Brust und schob ihr spitzes Knie zwischen seine Beine und drehte ihre knochige Hüfte zu ihm hin. »Nicht wie hier«, flüsterte sie. »Hier ist es gefährlich.« Ihre hagere, knochige Hand krabbelte in seine Hose – scheu wie eine Eidechse.
Die lärmende Ankunft des grünen Lieferwagens, der die Ausreißer – von einem warmen Mittagessen – zurückbrachte, rettete ihn. Grace sprang von ihm fort, behend wie eine aufgeschreckte Katze. Während alle anderen durch die Tür hereinkamen, war sie schon dabei, emsig die Krümel aus einer Ritze im Linoleum auf der Küchentheke zu scharren – unter Einsatz einer Drahtbürste, die sie, von Homer unbemerkt, in ihrer Seitentasche gehabt hatte. Wie alles an Grace Lynch war auch sie versteckt gewesen. Aber die Spannung in dem Blick, den sie ihm nach Feierabend zuwarf – während er auf Big Dot Tafts fröhlichem Schoß zurück zum Apfelmarkt fuhr –, genügte, um Homer Wells zu sagen, daß von Grace Lynch nach wie vor eine eigenartige Gefahr für ihn ausging und daß er sich noch so weit von St. Cloud’s entfernen konnte, die Opfer von St. Cloud’s würden ihn nie ganz verlassen.
Am Abend, nachdem Grace Lynch
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