Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
nur noch ein kleiner Punkt am unermeßlichen Horizont waren. Plötzlich – Musik! Homer schreckte auf. Wörter! Der Titel, die Namen der Schauspieler wurden von unsichtbarer Hand in den Sand geschrieben.
    »Was war das?« fragte Homer Wally. Er meinte das Tier, seinen Reiter, die Wüste, den Vorspann des Films – alles!
    »Irgend’n blöder Beduine, glaube ich«, sagte Wally.
    Ein Beduine?, dachte Homer Wells.
    »Ist das eine Art Pferd?« fragte er.
    »Welches Pferd?« fragte Debra Pettigrew.
    »Das Tier«, sagte Homer und ahnte schon seinen Fehler.
    Candy drehte sich auf dem Vordersitz herum und sah Homer voll betörender Zuneigung an. »Das war ein Kamel, Homer«, sagte sie.
    »Du hast noch nie ein Kamel gesehen!« brüllte Wally.
    »Na, wo hätte er ein Kamel sehen sollen?« gab Candy schnippisch zurück.
    »Ich war nur überrascht«, entschuldigte sich Wally.
    »Ich habe auch noch nie einen Neger gesehen«, erklärte Homer. »Das war doch einer, nicht wahr? – da auf dem Kamel.«
    »Ein Neger-Beduine, schätze ich«, sagte Wally.
    »Liebe Güte«, sagte Debra Pettigrew und schaute Homer etwas ängstlich an, als habe sie den Verdacht, er könnte gleichzeitig in einer anderen Lebensform auf einem anderen Planeten existieren.
    Dann war der Vorspann vorbei. Der schwarze Mann auf dem Kamel war verschwunden und sollte sich nie wieder blicken lassen. Auch die Wüste war verschwunden; anscheinend hatte sie ihren unklaren Zweck erfüllt – auch sie sollte sich nicht wieder blicken lassen. Es folgte ein Piratenfilm. Große Schiffe feuerten mit Kanonen aufeinander; dunkelhäutige Männer mit langem wirrem Haar und ausgebeulten Hosen machten schreckliche Dinge mit freundlicher aussehenden Männern, die besser gekleidet waren. Keiner der Männer war schwarz. Vielleicht ist der Kamelreiter eine Art Omen gewesen, dachte Homer Wells. Seine Bekanntschaft mit dem Geschichtenerzählen, vermittelt durch Charles Dickens und Charlotte Brontë, hatte ihn schlecht vorbereitet auf Figuren, die von Nirgendwo kamen und nach Nirgendwo reisten – oder auf Geschichten, die keinen Sinn ergaben.
    Die Piraten raubten eine Truhe voll Münzen und eine blonde Frau von dem freundlicher aussehenden Schiff, bevor sie es versenkten und davonsegelten auf ihrem eigenen miesen Kahn, auf dem sie dann saufend und grölend feierten. Anscheinend machte es ihnen Spaß, die Frau lüstern anzugaffen und sie zu verspotten, aber eine geheimnisvolle und völlig unsichtbare Kraft hinderte sie daran, ihr tatsächlich etwas anzutun – und zwar eine ganze Stunde lang, während sie beinah jedem anderen und vielen von ihresgleichen etwas antaten. Die Frau aber wurde aufgespart für weiteren Spott; sie klagte bitterlich über ihr Schicksal, und Homer hatte das Gefühl, daß er Mitleid für sie empfinden sollte.
    Ein Mann, der die klagende Frau anscheinend verehrte, folgte ihr über den ganzen Ozean, durch brennende Hafenstädte und schmucklose Kneipen voll angedeuteter, aber nie wirklich sichtbarer Verworfenheit. Als der Nebel heranrollte, wurde auch von dem Film vieles unsichtbar, und trotzdem blieb Homers Blick wie angenagelt an dem Bild am Himmel haften. Nur teilweise wurde ihm bewußt, daß Wally und Candy sich nicht für den Film interessierten; sie waren – unsichtbar – auf der vorderen Sitzbank zusammengesunken, und nur hin und wieder tauchte Candys Hand klammernd – oder schlaff hängend – auf der Rücklehne der vorderen Sitzbank auf. Zweimal hörte Homer sie »Nein, Wally!« sagen, einmal mit einer Festigkeit, die er noch nie in ihrer Stimme gehört hatte. Wally lachte zwischendurch immer wieder laut auf, und ansonsten flüsterte er und murmelte und brummelte tief in der Kehle.
    Zwischendurch wurde Homer bewußt, daß Debra Pettigrew sich weniger für den Piratenfilm interessierte als er; wenn er sie anschaute, stellte er überrascht fest, daß sie ihn anschaute. Nicht vorwurfsvoll, aber auch nicht gerade liebevoll. Sie schien immer erstaunter, ihn hier zu sehen, je länger der Film sich hinzog. Einmal berührte sie seine Hand; er dachte, sie wolle etwas von ihm, und schaute sie höflich an. Sie starrte ihn nur an; er schaute wieder auf den Film.
    Die blonde Frau verrammelte dauernd ihre Tür vor ihren Kerkermeistern, und diese brachen trotzdem dauernd in ihr Zimmer ein; anscheinend nur, um ihr zu beweisen, daß sie sie nicht aussperren konnte. Einmal im Zimmer, verhöhnten sie sie, wie gehabt, und zogen sich dann zurück – woraufhin sie wieder

Weitere Kostenlose Bücher