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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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der Gesellschaft, soweit er letztere kennengelernt hatte, machte Homer schwer zu schaffen; die Leute, nette Leute sogar – denn natürlich war Wally nett –, redeten erst kritisch über andere und waren hinterher absolut freundlich zu ihnen. In St. Cloud’s war Kritik offensichtlicher – und schwerer, wenn nicht unmöglich zu verbergen.
    Das Autokino von Cape Kenneth war für die Verhältnisse in Maine fast so eine Attraktion wie der beheizte Swimmingpool des Haven-Club, nur viel unpraktischer. Autokinos waren für Maine keine geniale Erfindung; der nächtliche Nebel an der Küste tauchte so manchen lustigen Spielfilm in die unpassend gespenstische Atmosphäre eines Horrorstreifens. Viele Jahre später konnten sich die Kinobesucher zu Snackbars und Toiletten vortasten – und fanden hinterher nur allzu oft den Weg zu ihren Autos nicht wieder.
    Dazu kam der Ärger mit den Moskitos. Damals, 194–, als Homer Wells zum erstenmal ins Autokino ging, war das Summen der Moskitos in der Nachtluft von Cape Kenneth viel besser zu hören als der Ton des Films. Wally konnte die Belagerung des Wagens durch die Moskitos einigermaßen in Grenzen halten, weil er immer eine Aerosol-Sprühpumpe dabeihatte und damit im Wagen und in seiner unmittelbaren Umgebung herumspritzte. Sie war mit dem Insektengift gefüllt, mit dem sie die Äpfel spritzten. Die Luft im Cadillac und rundherum war also giftig und muffig, aber einigermaßen moskitofrei. Das Zischen und der Gestank der Spritze erregten häufige Beschwerden von Wallys Kinonachbarn in den Autos neben dem Cadillac – bis sie so schlimm von Moskitos gestochen wurden, daß sie aufhörten zu protestieren; manche fragten höflich an, ob sie das Gerät ausleihen könnten, um Gift auf ihre eigenen Autos zu verteilen.
    Damals, 194–, gab es keine Snackbar im Autokino von Cape Kenneth und keine Toiletten. Männer und Jungen pinkelten der Reihe nach gegen eine feuchte Betonwand am hinteren Grubenrand des Autokinos; oben auf der Mauer hockten etliche kleine Bengels (Einheimische aus Cape Kenneth, zu jung oder zu arm, um Auto zu fahren) und schauten sich von da aus den Film an, obwohl sie nicht die geringste Chance hatten, etwas zu verstehen. Manchmal, wenn ihnen der Film nicht gefiel, pinkelten sie von der Mauer herab auf die Pechvögel, die gerade unter ihnen dagegen pinkelten.
    Von Mädchen und Frauen wurde erwartet, daß sie im Autokino gar nicht pinkeln gingen, und folglich benahmen sie sich besser als die Männer und Jungen – sie tranken zum Beispiel weniger, auch wenn ihr Verhalten im Innern der Autos nicht kontrolliert werden konnte.
    Für Homer Wells war diese ganze Erfahrung äußerst erstaunlich. Besonders eindringlich fiel ihm auf, was Menschen nicht alles zu ihrem Vergnügen taten – wozu sie sich (daran konnte es keinen Zweifel geben) aus freien Stücken entschieden –, denn dort, wo er herkam, war die freie Entscheidung nicht so selbstverständlich, und Beispiele dafür, daß Leute etwas zu ihrem Vergnügen taten, gab es nicht im Überfluß. Es wunderte ihn, daß Leute freiwillig und zu ihrem Vergnügen ein Autokino über sich ergehen ließen; aber er hielt es für allein seine Schuld, daß er den Spaß daran nicht entdecken konnte.
    Am allerwenigsten war er auf den Film selbst eingestellt. Nachdem die Leute mit ihren Hupen gedröhnt und mit Scheinwerfern geblinkt und andere, weniger freundliche Zeichen der Ungeduld von sich gegeben hatten – Homer hörte das unverkennbare Geräusch von Kotzen gegen einen Kotflügel –, füllte ein gigantisches Bild den Himmel. Das muß das Maul irgendeines Geschöpfes sein! dachte Homer Wells. Die Kamera fuhr zurück, oder vielmehr schaukelte sie rückwärts. Wohl der Kopf irgendeines Geschöpfes – vielleicht einer Art Pferd! dachte Homer Wells. Tatsächlich war es ein Kamel, aber Homer Wells hatte noch nie ein Kamel gesehen, auch nicht auf einem Bild; er dachte, es müsse ein fürchterlich deformiertes Pferd sein – ein Mutantenpferd! Vielleicht die gespenstische Embryonalphase eines Pferdes! Die Kamera taumelte noch weiter zurück. Rittlings auf dem grotesken Buckel des Kamels hockte ein schwarzhäutiger Mann, fest in weiße Stoffbahnen gehüllt – lauter Verband!, dachte Homer Wells. Der wilde schwarze Arabernomade schwang ein beängstigend gekrümmtes Schwert und drosch mit der flachen Klinge auf das Kamel ein. Er trieb das Tier in stockendem, zockelndem Galopp über endlos scheinende Sanddünen, bis das Tier und sein Reiter

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