Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
hinwegsegelte und mit weichem Bums gegen die Wand klatschte. Melony holte sie sofort weg – sie war entschieden tot, ihr Rückgrat gebrochen.
    Mit Hilfe eines ungespitzten Bleistifts drapierte Melony die tote Maus in sitzender Haltung auf ihrem Nachttisch, einer umgestürzten Apfelkiste, die sie dann an das Fußende ihrer Bettstatt rückte. Sie war überzeugt, die tote Maus würde als eine Art Totem fungieren, um andere Mäuse abzuschrecken – und tatsächlich wurde Melony mehrere Stunden von keiner Maus mehr geplagt. Sie lag in dem schwachen Licht und las Jane Eyre – während um sie her der leere, dunkle Obstgarten reifte.
    Sie las – zweimal hintereinander – den Abschnitt gegen Schluß des siebenundzwanzigsten Kapitels, der endet: »Vorgefaßte Meinungen, früher gefaßte Entschlüsse sind alles, woran ich mich in dieser Stunde halten kann, und ich will mich daran halten.«
    Damit schloß sie das Buch und löschte das Licht. Melony lag tapfer auf dem Rücken, ihre breiten Nüstern erfüllt von der scharfen Cider-Essigluft – der gleichen Luft, die Homer riecht, dachte sie. Kurz bevor sie einschlief, flüsterte sie – auch wenn nur Mäuse da waren, um es zu hören – »Gute Nacht, Sonnenstrahl«. 
     
    Am nächsten Tag regnete es. Es regnete von Kennebunkport bis Christmas Cove. Der Nordostwind wehte so stark, daß selbst die regendurchtränkten Wimpel an den beim Haven-Club vertäuten Booten zum Ufer zeigten und ein flottes, knatterndes Geräusch machten, so beharrlich wie das Scheuern von Ray Kendalls Hummerboot an den abgenutzten alten Gummireifen, die sein Dock polsterten.
    Ray sollte diesen Tag unter dem John Deere im Gebäude Nummer zwei verbringen; er sollte abwechselnd das Leitungsnetz des Traktors erneuern und schlafen. Hier schlief er am besten: unter einer vertrauten großen Maschine. Er wurde nie entdeckt; manchmal ragten seine Beine so weit gespreizt unter dem Vehikel hervor, daß er wie tot aussah – überfahren oder zerquetscht. Einer der Apfelpflücker rief bei seinem Anblick erschrocken: »Ray? Bist du es?« Worauf Ray Kendall – wie Dr. Larch, wenn er aus dem Äther zurückgeholt wurde – erwachte und sagte: »Ja, hier. Hier bin ich.«
    »Was ’ne Arbeit, he?« erkundigte sich der besorgte Kollege.
    »Jaaa«, sagte Ray. »Was ’ne Arbeit, ja, wirklich.«
    Der Regen prasselte nieder, und der Wind blies so stark landeinwärts, daß die Möwen landwärts zogen. Auf der York-Farm drängelten sie sich um das Ciderhaus und weckten Melony mit ihrem Gequengel; in Ocean View hockten sie auf dem Blechdach des Ciderhauses beisammen, wo wieder einmal eine Gruppe von Scheuerfrauen und Anstreichern am Werk war.
    Grace Lynch hatte, wie üblich, die schlechteste Arbeit: den 1000-Gallonen-Cidertank zu schrubben; sie kniete im Innern des Bottichs, und das Geräusch ihrer Bewegungen dort drinnen machte auf die anderen den Eindruck einer irgendwie verstohlenen Energie, als stöberte ein Tierchen nach einem Nest oder etwas Eßbarem. Hyde hatte das Ciderhaus verlassen, um mal wieder, wie seine Frau Florence sagte, »eine bekloppte Besorgung zu machen«. Meany hatte beschlossen, daß der Kettengurt am Förderband locker sei, und darum hatte er ihn abmontiert und gesagt, er werde ihn zu Ray Kendall bringen.
    »Und was soll Ray mit einem lockeren Kettengurt anfangen?« fragte Florence Meany. »Einen neuen bestellen, oder ein Stück aus diesem herausnehmen – richtig?«
    »Vermutlich«, sagte Meany argwöhnisch.
    »Und wozu brauchst du heute das Förderband?« fragte Florence.
    »Ich bringe Ray nur den Gurt!« sagte Meany verdrießlich.
    »Du willst nicht so viel arbeiten, nicht wahr?« sagte Florence, und Meany schlurfte in den Regen hinaus; er lächelte und blinzelte Homer Wells zu, während er in den Transporter kletterte.
    »Ich habe einen faulen Mann«, sagte Florence fröhlich.
    »Das ist besser als eine gewisse andere Sorte«, sagte Irene Titcomb – und alle blickten automatisch in Richtung des 1000-Gallonen-Bottichs, wo Grace Lynch fieberhaft schrubbte.
    Irene und Florence, die ruhige und geduldige Hände hatten, strichen die Fensterrahmen und Simse im Schlafraumflügel des Ciderhauses. Homer Wells und die dicke Dot Taft und Debra Pettigrew, Big Dots kleine Schwester, malten mit breiteren, achtloseren Strichen die Küche aus.
    »Ich hoffe, ihr fühlt euch nicht bedrängt von mir«, sagte Big Dot zu Debra und Homer. »Ich bin nicht eure Anstandsdame oder so etwas. Wenn ihr euch verdrücken wollt,

Weitere Kostenlose Bücher