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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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brauchen sich nicht zu ängstigen«, sagte Homer zu Mr. Rose. »Das Riesenrad ist völlig ungefährlich.«
    »Ich bin nicht ängstlich wegen irgend’nem Rad«, sagte Mr. Rose. »Siehst du viele Leute von meiner Hautfarbe hier?«
    Homer hatte nichts Feindseliges in den Blicken der Leute entdeckt – als Waise argwöhnte er stets, daß die Leute es auf ihn abgesehen hatten und ihn anstarrten –, und darum hatte er sich in Mr. Roses Gesellschaft nicht besonders isoliert gefühlt. Jetzt aber bemerkte er mehr solcher Blicke und merkte, daß die Blicke, die eine Waise entdecken mochte, im Vergleich dazu nur Einbildung waren.
    Als sie zu dem Riesenrad kamen, stand keine Schlange dort, aber sie mußten warten, bis die eben laufende Fahrt vorbei war. Als das Rad stehenblieb, stiegen Homer und Mr. Rose ein und setzten sich zusammen in eine Gondel.
    »Wir könnten jeder in seiner eigenen Gondel sitzen, falls Sie das lieber möchten«, sagte Homer Wells.
    »Laß nur, wie es ist«, sagte Mr. Rose. Als das Rad seinen Aufstieg begann, saß er sehr still und gerade und hielt den Atem an, bis sie beinah den höchsten Punkt des Anstiegs erreicht hatten.
    »Dort drüben ist der Obstgarten«, deutete Homer Wells, doch Mr. Rose starrte geradeaus, als hinge die Stabilität des ganzen Riesenrades davon ab, daß jeder Fahrgast ein vollkommenes Gleichgewicht wahrte.
    »Was ist Besonderes daran?« fragte Mr. Rose starr.
    »Es ist nur wegen der Fahrt und wegen der Aussicht, schätze ich«, sagte Homer Wells.
    »Mir gefällt die Aussicht vom Dach«, sagte Mr. Rose. Als sie mit dem Abstieg des kreisenden Rades begannen, sagte Mr. Rose: »Es ist gut, daß ich heute nicht viel gegessen habe.«
    Bis sie unten anlangten und wieder mit ihrem Aufstieg begannen, hatte sich eine ansehnliche Menschenmenge gebildet – aber anscheinend standen sie nicht Schlange für die nächste Fahrt. Da waren nur zwei Pärchen und ein einzelner Junge, die sich das Riesenrad mit Homer und Mr. Rose teilten, und als sie abermals am höchsten Punkt des Rades waren, merkte Homer, daß die Menge dort unten zusammengelaufen war, um Mr. Rose anzustarren.
    »Sie sind gekommen, um zu sehen, ob Nigger fliegen«, sagte Mr. Rose, »aber so etwas werde ich nicht tun – nicht zur Unterhaltung der andern. Sie sind gekommen, um zu sehen, ob die Maschine zusammenbricht, wenn sie versucht, ’nen Nigger zu tragen – oder vielleicht wollen sie mich erbrechen sehen.«
    »Tun Sie einfach gar nichts«, sagte Homer Wells.
    »Das ist der Ratschlag, den ich mein ganzes Leben lang gehört habe, Junge«, sagte Mr. Rose. Als sie mit ihrem Abstieg begannen, beugte sich Mr. Rose aus der Gondel – sehr gefährlich, viel weiter als nötig – und erbrach sich in einem prächtigen Bogen über die Menschenmenge unter ihnen. Die Menschenmenge wich zurück wie ein Mann, aber nicht rechtzeitig genug.
    Als die Gondel wieder am tiefsten Punkt des Abstiegs angelangt war, wurde das Riesenrad angehalten, damit der Mann, dem übel geworden war, aussteigen konnte. Die Menschenmenge hatte sich zurückgezogen, bis auf einen jungen Mann, der besonders bekleckert war. Als Homer Wells und Mr. Rose das Gelände des Riesenrades verließen, trat der junge Mann vor und sagte zu Mr. Rose: »Sie sahen aus, als wollten Sie das absichtlich tun.«
    »Wem wollte absichtlich übel werden?« fragte Mr. Rose; er ging weiter, und Homer ging mit ihm. Der junge Mann war etwa in Homers Alter; er sollte seine Hausaufgaben machen, dachte Homer Wells – falls er noch zur Schule geht, ist heute ein gewöhnlicher Schultag.
    »Ich glaube, Sie wollten es absichtlich tun«, sagte der junge Mann zu Mr. Rose, der jetzt stehenblieb.
    »In welchem Geschäft bist du?« fragte Mr. Rose den Jungen.
    »Was?« fragte der junge Mann, aber Homer Wells trat zwischen sie.
    »Meinem Freund ist übel geworden«, sagte Homer Wells. »Bitte, laß ihn in Ruhe.«
    »Deinem Freund?« sagte der Junge.
    »Frag mich, in welchem Geschäft ich bin«, sagte Mr. Rose zu dem Jungen.
    »In welchem Scheißgeschäft sind Sie, Mister?« brüllte der junge Mann Mr. Rose an. Homer fühlte sich elegant aus dem Weg geschoben; er sah, daß Mr. Rose ganz plötzlich Brust an Brust vor dem Jungen stand. Da war kein saurer Geruch von Erbrochenem mehr in Mr. Roses Atem. Irgendwie hatte sich Mr. Rose eines dieser Pfefferminze in den Mund gesteckt; die Wachsamkeit, die gefehlt hatte, als Mr. Rose übel wurde, glomm jetzt wieder in seinen Augen. Der Junge schien überrascht, daß

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